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Die Kinderhexe

Die Kinderhexe

Titel: Die Kinderhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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einfach das Bild an und frag dich, welche Macht dieses Kind besitzt, dass sich alle Erwachsenen vor ihm niederwerfen.»
    «Aber es ist Jesus, Gottes Sohn.»
    «Das Jesuskind wusste davon nichts. Erst die Erwachsenen haben ihn zu einem Gott gemacht.»
    «Tatsächlich?»
    Kathi nickte. «Und jetzt frage dich: Wäre es nicht schön, auch so viel Macht über die Erwachsenen zu besitzen wie dieses nackte Jesuskind?»
    Grit ließ die Worte und das Bild auf sich wirken, und je länger sie über die Macht des Jesuskindes als auch über ihre eigene Ohnmacht nachdachte, desto stärker wurde der Wunsch nach Vergeltung.
    «Ich glaube, ich verstehe, was du meinst. Aber wie willst du das anstellen?»
    Kathi lächelte. «Es ist einfacher, als du denkst.»

[zur Inhaltsübersicht]
    11
    Der Morgen war frostig und feucht. Vom nahen Main zog Nebel auf und tauchte die Stadt in ein düsteres, graues Licht. Er kroch durch die Ritzen im Mauerwerk, hinein in die kalten Stuben, wo sich die frommen Seelen unter der Last der Albträume in den Betten wälzten. Auf der Haut fühlte er sich unangenehm an, als überkäme einen der fahle Hauch des Todes.
    Kathi kam dieser Umstand gerade recht, so brauchte sie sich nicht zu verstellen. Sie kauerte sich vor das Tor zur bischöflichen Kanzlei und wartete auf einen Hofbeamten, der sie zitternd vor Angst vorfinden sollte.
    Noch vor dem ersten Hahnenschrei hatte sie sich an ihrer schlafenden Mutter vorbei aus dem Haus geschlichen. Helene durfte nichts wissen von ihrem waghalsigen Plan, denn schon bald würde auch sie dem Hexenkommissar Rede und Antwort stehen müssen. Je weniger sie dann wusste, desto größer war die Aussicht, dass ihr Vorhaben gelang.
    Kathis Nachthemd war nass und entlang des Saums von roter Erde beschmutzt. Die gleiche Erde, wie sie an einer ganz bestimmten Stelle am Schalksberg zu finden war – an genau jener Stelle, wo der letzte Hexensabbat stattgefunden haben sollte. Eine herumziehende Händlerin, die Knöpfles-Hökerin, war im letzten Monat verbrannt worden, weil sie auf ihrem nächtlichen Flug zum Schalksberg gesehen worden war. Als Beweis galt die rote Erde vom Schalksberg, die noch an ihren Schuhen geklebt hatte.
    Mit einer Rute hatte sich Kathi quer über die Schenkel Striemen zugefügt, um ihren nächtlichen Ausritt glaubhaft aussehen zu lassen. Was noch fehlte, war ein scheinbarer Beweis, dass sie dem Leibhaftigen tatsächlich gegenübergestanden hatte. Dazu hatte sie sich die Schwanzhaare einer Ziege besorgt, die sie in ihren klammen Händen hielt.
    Schritte hallten über den Marktplatz zu ihr herauf. Ihrer Abfolge nach handelte es sich um einen Mann, der beschwingt unterwegs war. Er pfiff eine Melodie, zu der er am Abend zuvor vielleicht getanzt hatte. Das konnte nur ein Beamter des Malefizgerichts sein, dachte Kathi. Niemand sonst hatte in diesen Zeiten Grund und Gelegenheit zu feiern.
    Kathi sank zu Boden. Die nackten, geschundenen Beine umschlossen, begann sie zu wimmern, wie es nur ein armes, verlassenes Kind tun konnte. Als der Mann näher kam, das Weinen hörte und Kathi schließlich am Tor sitzen sah, war seine gelöste Stimmung verflogen. Er beugte sich zu ihr hinab und strich ihr über das zerzauste Haar.
    «Was ist mit dir?», fragte er besorgt.
    Kathi hob den Kopf. Die Tränen hatten sich mit dem Schmutz auf ihren Wangen vermischt, sie machte einen bemitleidenswerten Eindruck.
    «Helft mir, Herr», schluchzte sie, «der Teufel will mich zu seiner Braut machen.»
    «Der Teufel?», antwortete der Mann überrascht. «Wie kommst du darauf?»
    «Weil er mir nachstellt.» Sie zeigte auf den roten Saum ihres Nachthemds. Ein Mann, und dann noch so ein hilflos dreinschauender wie dieser, vermochte darin nur einen Grund zu erkennen. Ein Mann musste diesem Kind Gewalt angetan haben.
    Er griff ihr unter die Arme und half ihr auf. «Komm mit», sagte er. «Ich mache uns ein Feuer und ein warmes Bier. Das wird dich stärken.»
    Kathi nahm das Angebot nur zu gerne an. Ihre Füße waren wie erfroren, das Humpeln fiel ihr leicht. Sie folgte ihm hinein in die dunkle Schreibstube der Kanzlei, wo er sie neben dem Ofen auf eine Bank setzte. Es war noch ausreichend Glut vom Vorabend da, sodass die neuen Scheite schnell Feuer fingen und eine wohlige Wärme verströmten. Die Flammen warfen wirre Bilder an die kargen Wände und machten die Stube zu einem geheimnisvoll aussehenden Ort.
    «Hier, trink vorsichtig», sagte der Mann, der sich als Malefizschreiber entpuppte – der

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