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Die Kinderhexe

Die Kinderhexe

Titel: Die Kinderhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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müsse mit ihm geschehen sein, dass er sich am eigenen Fleisch und Blut vergreife.
    «Heilige Mutter Maria und alle Schutzengel der Stadt», schrien sie über den Marktplatz, «so helft uns doch, damit er endlich von uns ablässt.»
    Ihr Geschrei hallte auf dem Platz wider und drang bis in die Schulkammer des nahen Neumünsters.
    Ludwig blickte von der Bibel auf. Ulrich und Benedikt liefen zum Fenster, Grit und Anna folgten ihnen. Auf der Straße vor Neumünster war nichts zu sehen.
    «Tretet zur Seite», sagte Ludwig und öffnete das Fenster. Drüben auf dem Marktplatz liefen die Passanten zusammen.
    «Ist das nicht Lene?», sagte Kathi zu Ursula. «Und da … das ist doch Lotti. Ich erkenne sie.»
    Ohne Pfarrer Ludwig um Erlaubnis zu bitten, verließ Kathi den Unterricht und rannte auf die Straße hinaus. Dort traf sie auf andere Kinder, die ebenfalls durch die Hilferufe aufmerksam geworden waren. Sie liefen zusammen zum Marktplatz, wo sich inzwischen eine Menschenmenge versammelt hatte. In ihrer Mitte sahen sie Henriette, Lene und Lottis Mutter, am Boden sitzen und mit ihrem ganzen Körper ihre beiden Kinder beschützen, wie ein Schutzengel es tut, der seine Schwingen ausbreitet.
    In den Augen der drei war das blanke Entsetzen zu Hause. Niemals zuvor hatte Kathi Henriette so gesehen. Sie litt Todesangst, keine Frage. Bei Lene und Lotti war sie sich nicht so sicher. Die beiden hatten schon zu oft ihre Unschuldsmiene aufgesetzt, um die Schuld von sich auf andere zu lenken. Apotheker Grein war jedes Mal darauf hereingefallen.
    Kathi drängte sich an den Umstehenden vorbei zu Henriette vor. «Was ist mit Euch geschehen?»
    Da sah es Kathi: Henriettes Auge war halb geschlossen, die linke Wange geschwollen. Grein musste sie fürchterlich geschlagen haben. Jetzt, da Kathi nicht mehr länger als Prügelknabe herhielt, musste Grein sein Gemüt offenbar an jemand anderem kühlen.
    «Kathi?», sagte Henriette leise, als sie sie erkannte, «du solltest nicht hier sein. Wenn er dich sieht …»
    «Keine Sorge, mir geht es gut. Aber was ist Euch widerfahren?»
    Die Antwort musste warten. Mit wütendem Geschimpfe und Schlägen nach allen Seiten bahnte sich Grein einen Weg durch die Menge.
    «Lasst mich durch, ihr elendes Pack.»
    Sein Gesicht war vor Zorn rot angelaufen, die Apothekerschürze blutverschmiert, und in der Hand führte er einen Feuerhaken, den er gegen jeden einzusetzen drohte, der sich ihm in den Weg stellte. Als er Kathi erkannte, verstummte er. Mit ihr hatte er nicht gerechnet.
    «Was willst du hier?»
    Sein ohnehin schon roter Kopf wurde noch eine Spur dunkler. War da nicht Blut an seinem Hals? Kathi konnte es nicht genau erkennen, aber wie es aussah, blutete Grein am Kopf, und das Blut floss an seinem Hals herunter.
    «Hatte ich dir nicht verboten, dich jemals wieder bei uns blicken zu lassen?»
    Kathi nahm allen Mut zusammen. Sie wollte nicht mehr vor Grein kuschen. Es war Zeit, dass ihm jemand Einhalt gebot. Sie vergewisserte sich, dass sie im Notfall auf ein paar starke Kerle zählen konnte. Dann erhob sie sich und stellte sich vor Henriette und die Kinder hin.
    «Habt Ihr nicht schon genug Unheil angerichtet?»
    Grein dachte nicht daran aufzuhören. Er war der Apotheker am Platz, und sie stand auf seinem Grund und Boden.
    «Du nichtsnutziger, verlogener Bastard. Mit dir hat das ganze Übel angefangen. Hätte ich dir nur früher die Phantastereien ausgetrieben, dann stünden wir nicht hier.» Sein Griff um den Feuerhaken wurde fester. «Babette, Hexe, Schalksberg und der ganze Unsinn! Du brauchst eine anständige Tracht Prügel, damit du wieder zur Vernunft kommst.»
    Er machte einen Schritt auf sie zu, doch gleich darauf hielt er inne. Henriette hatte sich an Kathis Seite gestellt.
    «Wage es nicht, sie anzurühren», schimpfte sie. «Du hast sie die längste Zeit schikaniert. Genauso wie du uns gedemütigt hast. Ab heute ist Schluss damit. Erhebe nie wieder deine Hand gegen eine von uns, oder du wirst es bitter bereuen.»
    Grein glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Was redete sein zweifellos verrückt gewordenes Eheweib da für wirres Zeug?
    Wer glaubte sie zu sein, dass sie ihm befehlen konnte? Noch dazu in aller Öffentlichkeit!
    Er hob den Arm mit dem Feuerhaken. Kathi wich zurück, aber Henriette blieb eisern stehen. Wenn sie sterben sollte, dann hier vor allen Leuten. Doch nicht sie, sondern Lene und Lotti lehrten Grein das Fürchten. In ihren Gesichtern war derselbe Wille zu erkennen wie bei

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