Die Kindes des Todes - Inspektor Rebus 14
zurückstarrten, vermutlich, weil sie sich fragten, was sie an ihnen so faszinierend fand. Sie bemühte sich zu lächeln und schüttelte den Kopf, so als wolle sie ihnen sagen, dass sie vor sich hin geträumt habe. Da sie sonst nichts zu tun hatte, holte sie ihr Handy heraus, in der Absicht, die Mailbox abzuhören. Aber dann beschloss sie, einen Anruf zu tätigen, und sie wählte eine Nummer, die sie auswendig kannte. »Ray Duff.« »Ray? Viel zu tun?« Siobhan wusste, was der Antwort vorausgehen würde: tiefes Einatmen gefolgt von einem langen Seufzer. Duff war Naturwissenschaftler und arbeitete in dem kriminaltechnischen Labor in Howdenhall. »Du meinst, außer der Klärung der Frage, ob alle Port-Edgar-Kugeln aus derselben Waffe stammen, und der anschließenden Analyse der Blutspritzer, der Schmauchspuren, der Schusswinkel und so weiter?« »Immerhin sorgen wir dafür, dass du nicht arbeitslos wirst. Was macht der MG?« »Fährt sich traumhaft.« Als die beiden sich das letzte Mal unterhielten, hatte Duff gerade die Restaurierung eines '73 Special Edition abgeschlossen. »Das Angebot zu einer Wochenend-Spritztour besteht nach wie vor.« »Wir sollten warten, bis das Wetter besser ist.« »Der Wagen hat übrigens ein Verdeck.« »Das ist aber nicht dasselbe, stimmt's? Hör mal, Ray, mir ist klar, dass dir die Schule mehr als genug Arbeit beschert, aber ich würde dich trotzdem gerne um einen winzigen Gefallen bitten...« »Siobhan, du weißt genau, dass ich nein sagen werde. Ich muss das alles hier schnellstens über die Bühne kriegen.« »Ich weiß. Ich arbeite auch am Port-Edgar-Fall.« »Genau wie alle Polizisten der Stadt.« Ein weiterer Seufzer. »Nur aus Neugier: Worum geht es?« »Das bleibt aber unter uns, ja?« »Klar.« Siobhan sah sich um. Die Detectives draußen hatten das Interesse an ihr verloren. Etwa sechs Meter von ihr entfernt saßen drei Uniformierte gemeinsam an einem Kantinentisch, tranken Tee und aßen Sandwiches. Sie drehte ihnen den Rücken zu, so dass sie den Automaten ansah. »Ich habe gerade einen Brief bekommen. Einen anonymen.« »Drohbrief?« »Gewissermaßen.«
»Du solltest ihn jemandem zeigen.« »Ich habe mir gedacht, ich zeige ihn dir, und du schaust mal, ob du irgendwas herausfindest.« »Ich meinte, dass du ihn Gill Templer zeigen sollst. Sie ist doch deine Chefin, oder?« »Ja, aber ich bin momentan nicht gerade ihre Lieblingsschülerin. Außerdem hat sie genug anderes am Hals.« »Ich etwa nicht?« »Nur ein kurzer Check, Ray. Vielleicht steckt was dahinter, vielleicht auch nicht.« »Aber ich soll das inoffiziell machen, richtig?« »Richtig.« »Das ist nicht richtig. Jemand bedroht dich, und das solltest du melden, Shiv.« Wieder dieser Spitzname: Shiv. Wie es aussah, wurde er von immer mehr Leuten benutzt. Sie fand allerdings, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war, Ray zu sagen, wie sehr dieser Name sie nervte. »Die Sache ist die, Ray: Der Brief stammt von einem Toten.« Am anderen Ende herrschte einen Augenblick lang Stille. »Okay«, sagte Duff schließlich gedehnt. »Ich bin ganz Ohr.« »Sozialwohnung in Gracemount. Friteusen-Feuer...« »Ah ja, Mr. Martin Fairstone. Ich habe mich schon kurz an ihm zu schaffen gemacht.« »Irgendwelche Ergebnisse?« »Das dauert noch ein bisschen... Port Edgar ist von null auf eins gestiegen. Fairstone hat ein paar Plätze verloren.« Sie musste angesichts des Vergleichs lächeln. Ray war ein Fan von Ranglisten. In ihren Unterhaltungen tauchten immer wieder die verschiedensten Top Drei und Top Fünf auf. Und es folgte wie aufs Stichwort: »Übrigens Shiv - die Top Drei der schottischen Rock- und Popkünstler?«
»Ray...« »Komm, mir zuliebe. Nicht nachdenken, sag, wer dir spontan einfällt.« »Rod Stewart? Big Country? Travis?« »Was ist mit Lulu? Und Annie Lennox?« »Ich bin bei so was nicht gut, Ray.« »Interessant, dass du ausgerechnet Rod genannt hast.« »Beschwer dich bei DI Rebus. Er hat mir die frühen Platten geliehen...« Sie versuchte es jetzt auch einmal mit einem Seufzer. »Wirst du mir nun helfen oder nicht?« »Wann habe ich den Umschlag hier?« »Binnen einer Stunde.« »Ich könnte Überstunden machen. Wäre mal eine echte Abwechslung.« »Habe ich dir gegenüber je dein blendendes Aussehen, deinen sprühenden Intellekt und deinen Charme erwähnt?« »Nur immer dann, wenn ich mich breitschlagen lasse, dir einen Gefallen zu tun.« »Du bist ein Engel, Ray. Ruf mich an, sobald du etwas weißt.« »Denk an
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