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Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)

Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)

Titel: Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.M. Coetzee
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Bruder: Hab keine Angst, Mutter, ich werde die Weise Frau finden und dir das kostbare Heilkraut bringen. Und er ging in den Schnee hinaus und traf einen Bären und der Bär sagte: Gib mir zu essen und ich zeige dir den Weg zur Weisen Frau. Und der Dritte Bruder sagte: Gern, Bär, gebe ich dir, worum du bittest. Da sagte der Bär. Gib mir dein Herz, dass ich es fresse. Und der Dritte Bruder sagte: Gern gebe ich dir mein Herz. Also gab er dem Bären sein Herz und der Bär fraß es.
    Dann zeigte ihm der Bär einen geheimen Pfad und er kam zum Haus der Weisen Frau und klopfte an die Tür und die Weise Frau sagte: Warum blutest du, Dritter Bruder? Und der Dritte Bruder sagte: Ich habe mein Herz dem Bären gegeben, der es gefressen hat, damit er mir den Weg zeigt, denn ich muss meiner Mutter das kostbare Heilkraut, das sie gesund machen wird, bringen.
    Da sagte die Weise Frau: Siehe, hier ist das kostbare Heilkraut, dessen Name Escamel ist, und weil du geglaubt und dein Herz weggeben hast, damit es gefressen wird, soll deine Mutter gesund werden. Folge den Blutstropfen durch den Wald zurück und du findest den Weg nach Hause.
    Da fand der Dritte Bruder den Weg nach Hause und er sagte zu seiner Mutter: Siehe, Mutter, hier ist das Kraut Escamel, und nun auf Wiedersehen, ich muss dich verlassen, weil der Bär mein Herz gefressen hat. Und seine Mutter kostete vom Kraut Escamel und wurde auf der Stelle gesund, und sie sagte: Mein Sohn, mein Sohn, ich sehe, du leuchtest mit einem großen Licht, und es war so, er schien mit einem großen Licht und dann wurde er aufgehoben gen Himmel.«
    »Und?«
    »Das ist alles. Das ist das Ende der Geschichte.«
    »Der letzte Bruder wurde also in einen Stern verwandelt und die Mutter blieb allein zurück.«
    Der Junge schweigt.
    »Die Geschichte gefällt mir nicht. Sie hat so ein trauriges Ende. Jedenfalls kannst du nicht der dritte Bruder sein und gen Himmel aufgehoben werden, weil du der einzige Bruder und damit der erste Bruder bist.«
    »Inés sagt, ich kann mehr Brüder haben.«
    »Sagt sie das! Und wo sollen diese Brüder herkommen? Erwartet sie etwa, dass ich sie ihr bringe, wie ich dich gebracht habe?«
    »Sie sagt, sie werden aus ihrem Bauch kommen.«
    »Nun, keine Frau kann Kinder ganz allein machen, sie braucht einen Vater, der ihr dabei hilft, das sollte sie wissen. Es ist ein Naturgesetz, dasselbe Gesetz für uns wie für Hunde und Wölfe und Bären. Aber selbst wenn sie mehr Söhne hat, bleibst du immer noch ihr erster Sohn, nicht der zweite oder dritte.«
    »Nein!« Die Stimme des Jungen ist zornig. »Ich will der dritte Sohn sein! Das habe ich Inés gesagt und sie hat ja gesagt. Sie hat gesagt, ich kann zurück in ihren Bauch und wieder herauskommen.«
    »Das hat Inés gesagt?«
    »Ja.«
    »Nun, wenn du das schaffst, wäre es ein Wunder. Ich habe noch nie von einem großen Jungen, wie du einer bist, gehört, der in den Bauch seiner Mutter zurückgegangen ist, ganz zu schweigen vom wieder Herauskommen. Inés muss etwas anderes gemeint haben. Vielleicht hat sie zu sagen versucht, dass du immer der Meistgeliebte sein wirst.«
    »Ich will nicht der Meistgeliebte sein, ich will der dritte Sohn sein! Sie hat es mir versprochen!«
    »Eins kommt vor zwei, David, und zwei vor drei. Inés kann dir das Blaue vom Himmel versprechen, aber das kann sie nicht ändern. Eins-zwei-drei. Das ist ein Gesetz, das noch stärker als ein Naturgesetz ist. Es heißt das Gesetz der Zahlen. Du willst doch sowieso nur der dritte Sohn sein, weil der dritte Sohn in den Geschichten, die sie dir erzählt, der Held ist. Es gibt viele andere Geschichten, in denen der älteste Sohn der Held ist, nicht der dritte Sohn. Es muss nicht einmal drei Söhne geben. Es kann auch nur einen geben, und er muss auch nicht sein Herz fressen lassen. Oder die Mutter kann eine Tochter und keine Söhne haben. Es gibt viele, viele verschiedene Geschichten und viele verschiedene Helden. Wenn du lesen lernen würdest, könntest du das selbst herausfinden.«
    »Ich kann lesen, ich will es nur nicht. Mir gefällt Lesen nicht.«
    »Das ist nicht besonders schlau. Außerdem wirst du bald sechs, und wenn du sechs bist, musst du zur Schule gehen.«
    »Inés sagt, ich muss nicht zur Schule gehen. Sie sagt, ich bin ihr Schatz. Sie sagt, ich kann ganz allein zu Hause lernen.«
    »Ich sehe das auch so, du bist ihr Schatz. Sie hat großes Glück, dass sie dich gefunden hat. Aber bist du sicher, dass du die ganze Zeit bei Inés zu Hause bleiben

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