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Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)

Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)

Titel: Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.M. Coetzee
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Streben empor zum Guten, Wahren und Schönen ist?«
    Eugenio schweigt.
    »Denk darüber nach. Frage dich, wo wir wären, wenn es nicht so etwas wie Leitern gäbe. Hier kommt mein Bus. Bis morgen, mein Freund.«
     
    »Stimmt etwas mit mir nicht, was ich nicht mitbekomme?«, fragt er Elena. »Ich spreche vom Klub, dessen Mitglied ich werden wollte. Warum haben sie mich abgewiesen, was glaubst du? Du kannst offen reden.«
    Im letzten violetten Licht des Abends sitzen sie am Fenster und sehen den Schwalben zu, wie sie im Sturzflug herabsegeln. Kameradschaftlich – so ist ihre Beziehung mit der Zeit geworden.
Compañeros
im beiderseitigen Einverständnis. Kameradschaftsehe: Wenn er sie anböte, würde Elena zustimmen? Mit Elena und Fidel in ihrer Wohnung zusammenzuleben wäre gewiss bequemer als das improvisierte Quartier in seinem einsamen Schuppen im Hafen.
    »Du kannst nicht sicher sein, dass sie dich abgewiesen haben«, sagt Elena. »Vielleicht haben sie eine lange Warteliste. Obwohl ich überrascht bin, dass du dich weiter um sie bemühst. Warum versuchst du es nicht bei einem anderen Klub? Oder warum gibst du es nicht einfach auf?«
    »Aufgeben?«
    »Den Sex aufgeben. Du bist dafür alt genug. Alt genug, um deine Befriedigung anderswo zu suchen.«
    Er schüttelt den Kopf. »Noch nicht, Elena. Noch ein Abenteuer, noch ein Fehlschlag, dann werde ich vielleicht daran denken, mich zur Ruhe zu setzen. Du hast meine Frage nicht beantwortet. Ist etwas an mir, das die Menschen vor den Kopf stößt? Ist mein Spanisch so schlecht?«
    »Dein Spanisch ist nicht makellos, doch es wird von Tag zu Tag besser. Ich höre viele Neuankömmlinge, deren Spanisch nicht so gut wie deines ist.«
    »Dass du das sagst, ist lieb von dir, doch die Wahrheit ist, ich habe kein gutes Gehör. Oft erfasse ich nicht, was die Leute sagen, und muss raten. Die Frau im Klub zum Beispiel: Ich dachte, sie habe gesagt, sie wolle mich mit einem der Mädchen dort verheiraten; aber vielleicht habe ich sie missverstanden. Ich habe ihr gesagt, ich sei nicht auf Brautschau, und sie hat mich angesehen, als sei ich verrückt.«
    Elena schweigt.
    »Es ist dasselbe mit Eugenio«, lässt er nicht locker. »Ich denke allmählich, an meiner Ausdrucksweise ist etwas, das mich als Mann kennzeichnet, der in alten Verhaltensmustern gefangen ist, ein Mann, der nicht vergessen hat.«
    »Vergessen braucht Zeit«, sagt Elena. »Wenn du erst einmal richtig vergessen hast, wird dein Gefühl der Unsicherheit weichen und alles wird einfacher werden.«
    »Ich freue mich auf diesen gesegneten Tag. Den Tag, wenn ich im Salón Confort und im Salón Relax und all den anderen Salons von Novilla willkommen geheißen werde.«
    Elena mustert ihn scharf. »Oder aber du kannst dich an deine Erinnerungen klammern, wenn du das bevorzugst. Aber dann komm nicht zu mir und beklage dich.«
    »Bitte, Elena, versteh mich nicht falsch. Ich lege keinen Wert auf meine müden alten Erinnerungen. Ich stimme dir zu: Sie sind nur eine Bürde. Nein, etwas anderes ist es, was ich aufzugeben zögere – nicht die Erinnerungen an sich, sondern das Gefühl, in einem Körper mit einer Vergangenheit zu wohnen, einem Körper, vollgesogen mit seiner Vergangenheit. Verstehst du das?«
    »Ein neues Leben ist ein neues Leben«, sagt Elena, »nicht ein altes Leben noch einmal in einer neuen Umgebung. Schau dir Fidel an –«
    »Aber was ist das Gute an einem neuen Leben«, unterbricht er sie, »wenn wir dadurch nicht verwandelt, verklärt werden, wie ich es ganz sicher nicht bin?«
    Sie lässt ihm Zeit, mehr zu sagen, doch er ist fertig.
    »Schau dir Fidel an«, sagt sie. »Schau dir David an. Sie sind keine Geschöpfe der Erinnerung. Kinder leben in der Gegenwart, nicht in der Vergangenheit. Warum sie nicht zum Vorbild nehmen? Anstatt darauf zu warten, verklärt zu werden, warum nicht versuchen, wieder wie ein Kind zu sein?«

Achtzehn
    E r geht mit dem Jungen im Park spazieren, es ist der erste der von Inés bewilligten Ausflüge. Die düstere Stimmung ist aus seinem Gemüt gewichen, er geht beschwingt. Wenn er mit dem Kind zusammen ist, scheinen die Jahre von ihm abzufallen.
    »Und wie geht es Bolívar?«, fragt er.
    »Bolívar ist weggelaufen.«
    »Weggelaufen! Das ist eine Überraschung! Ich dachte, Bolívar sei dir und Inés treu ergeben.«
    »Bolívar mag mich nicht. Er mag nur Inés.«
    »Aber man kann doch bestimmt mehr als eine Person mögen.«
    »Bolívar mag nur Inés. Es ist ihr Hund.«
    »Du bist

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