Die Kiste der Beziehung: Wenn Paare auspacken (Populäres Sachbuch) (German Edition)
mit »Mama« anzusprechen. Felix verdrehte genervt die Augen, als ich ihn seiner Mutter im Flur abnahm und begeistert feststellte »wie groß er geworden ist«. Dann entdeckte er den Fernseher und Rainers Playstation im Wohnzimmer und sah deutlich erleichtert aus. Ich verabschiedete Tanja und ging hochmotiviert ins Wohnzimmer, um mich ausgiebig um Felix zu kümmern und mir bei der Gelegenheit vorzustellen, er wäre von Rainer und mir. Als Frau sollte man sich bestimmte Dinge besser erst mal eine Weile nur vorstellen, und zwar alleine und intensiv. In den meisten Fällen bewahrt einen das vor Heirat, Kinderkriegen und Reihenhaus.
»Jungs sind doof« ist auch so eine Aussage, von der ich nie gedacht hätte, dass ich sie mit über dreißig noch mal voller Überzeugung aussprechen würde. Felix wollte weder Kuchen backen noch aus Salz-Mehl-Teig ein Türschild basteln und weigerte sich auch hartnäckig, mir aus seinem Leben zu erzählen. So könne ich natürlich nicht an unserer Beziehung arbeiten, wenn da von seiner Seite aus so gar nichts komme, erklärte ich ihm geduldig. Doch Felix hatte da in etwa die gleiche Einstellung wie Rainer: Beziehungen sind eine One-woman-Show.
Erstaunlich, dass kleine Männer schon so früh glauben, Frauen sollten gefälligst erraten, was die Krone der Schöpfung am liebsten machen will. Sogar die Antworten waren erschreckend ähnlich: fernsehen oder Playstation spielen. Genau wie bei Rainer wies ich Felix darauf hin, dass beides schlecht für die Augen ist, und in Erinnerung an meine eigene Kindheit fügte ich noch hinzu, dass man davon einen viereckigen Kopf bekommt.
Im Gegensatz zu mir damals glaubte Felix kein Wort und wollte auf einmal wissen, wer ich überhaupt bin und wann die Mama wiederkommt. Ich erklärte ihm die Sachlage so, wie ich es mal in einem Erziehungsratgeber gelesen hatte: ehrlich, aber positiv verpackt. »Kinder verstehen viel mehr, als Erwachsene ihnen zutrauen.« Das stand da, und darum sagte ich Felix offen und wahrheitsgemäß, dass seine Mutter wegen ihm und seiner Schwester ziemlich am Ende sei und ihn einfach mal ein Weilchen nicht sehen wolle. Er könne das doch bestimmt verstehen, es gebe doch bestimmt auch Tage, an denen er nicht so gerne mit seinen Transformers-Figuren spielen wolle.
Wer auch immer diesen Erziehungsratgeber geschrieben hat, gehört gesteinigt. Felix zeigte überhaupt kein Verständnis, weder für seine Mutter noch für die Situation, er fing an zu heulen und zu brüllen, ich wäre eine »doofe Arschkuh«, und dann pfefferte er die Vase vom Couchtisch, die echt ziemlich teuer gewesen ist. Ich hatte keine Ahnung, was ich machen sollte, denn auf den Arm wollte Felix auch nicht. Zumindest nicht auf meinen. Stattdessen warf er jetzt auch sich selbst auf den Boden, wohl um meine Unfähigkeit als Ersatzmutter noch deutlicher zu unterstreichen, und klatschte dabei ungünstigerweise mit dem Gesicht leicht in eine Vasenscherbe. Als er jetzt auch noch Blut an seinen Händen sah, verwandelte sich sein Geschrei in so verzweifeltes Weinen, dass mir schier das Herz brach. Wenn Männer weinen, kriegen Frauen Panik, wenn kleine Männer weinen, Schuldgefühle. Mir wurde schlagartig klar, was für eine grottenschlechte Mutter ich abgeben würde und dass der Welt sicher geholfen wäre, wenn ich mich gleich nächste Woche sterilisieren ließe.
Als Rainer vom Fußball nach Hause kam, hatte ich das Wohnzimmer saubergemacht, die Scherben weggefegt, Felix’ Gesicht gesäubert und desinfiziert und ihn mit einer großen Tüte Chips und einem Gewalt-Videospiel ab 18 vor die Playstation gesetzt. Es war ruhig und friedlich und Rainer angemessen beeindruckt. Als er mich in den Arm nahm und sich dafür entschuldigte, dass er so ein schlechtes Bild von mir gehabt hatte, brach ich in Tränen aus und kündigte an, sollten wir je eigene Kinder haben, würde ich arbeiten gehen und er zu Hause bleiben.
Fahrradhelme sieht man immer nur auf Köpfen, um die es eh nicht schade wäre. Zumindest bei Erwachsenen. Bei Kindern ist das anders, klar, die Frage ist nur, ab wann haben Kinder ihren eigenen Kopf, den sie dann eben auch selbst schützen müssen? In der Natur sagt die Antilopenmutter ja auch nicht zu ihren Jungen: »Setzt bloß euren Helm auf, wenn ihr zum Wasserloch geht, da draußen gibt’s Löwen!« Mit dem Löwen-Risiko musst du als Antilope einfach leben.
Ich gehöre jedenfalls nicht zu den Anhängern einer Vollkasko-Erziehung. Ich gehe auch über Rot, wenn Kinder
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