Die Kiste der Beziehung: Wenn Paare auspacken (Populäres Sachbuch) (German Edition)
etwas von dem superleckeren Braten haben könnte.
Rainers Mutter gab mir Braten und murmelte dabei, dass es auch Männer gebe, die nicht der Ansicht seien, dass sie aussähe wie eine Rosine. Als ich von der Toilette kam und Rainer im Flur traf, fragte ich ihn, ob er mich nicht wenigstens hätte vorwarnen können.
»Wovor?«, wollte Rainer wissen.
»Wovor?!« Ich konnte es nicht fassen. »Dein Vater kann deine Mutter nicht leiden, und deine Mutter hat eine Affäre!«
»Ach, Quatsch«, Rainer fand das offenbar eher lustig. »Die sind seit 35 Jahren verheiratet, das ist ganz normal. Willst du noch Nachtisch? Gibt Melba-Pfirsich.«
Irgendetwas in mir drin riet dringend, Rainer nicht zu widersprechen.
Eine Familie ist ein extrem wackliges Gebilde, das von dünnen Fäden aus alten Illusionen und noch älteren Vorwürfen zusammengehalten wird. Das weiß ich von meiner eigenen Familie. Wenn ein Außenstehender dazukommt und nach zwei Scheiben Braten meint, sich ein Urteil erlauben zu können, kommt das nie gut an. Deshalb und weil Rainer und ich den ersten Besuch bei meinen Eltern noch vor uns hatten, schwieg ich im Folgenden und stimmte im Wechsel Rainers Vater zu, dass Frauen gar nicht selbständig genug sein konnten, und gab Rainers Mutter recht, dass ein guter Braten mindestens sechs Stunden auf kleiner Flamme vor sich hinköcheln muss. Anschließend wollte ich ihr beim Spülen helfen, weil die zukünftigen Schwiegertöchter das in amerikanischen Filmen auch immer so machen und weil ich auf dem Foto an Rainers Exfreundin extrem lange, manikürte Fingernägel entdeckt hatte, woraus ich schloss, dass Spülen nicht so ihr Ding gewesen sein konnte. Vielleicht würde ich bei Rainers Mutter damit sogar erreichen, dass sie uns um ein Foto für den Kaminsims bat.
In der Küche stellte ich fest, dass es eine Spülmaschine gab und Rainers Mutter es nicht gern hatte, wenn man ihr half. Verständlich, laut Aussage ihres Mannes war »Spülmaschine einräumen« ein Hauptlebensinhalt dieser Frau, direkt nach »Spülmaschine ausräumen«. Trotzdem wusste ich, wie wichtig es für mich war, dass Rainers Mutter mich mochte.
Um das Verhältnis zwischen uns zu optimieren, wollte ich den bewährten Weg gehen: In das Herz einer Mutter kommt man am schnellsten wenn man Herz für ihren Sohn zeigt. Ich versicherte ihr also, während sie Spezialsalz und Klarspüler nachfüllte, dass ich Rainer wirklich sehr liebte, weil mit ihm sogar das Zusammenleben im Alltag prima funktioniert, und dass er ganz nach ihr käme.
Das kam überraschenderweise noch besser an, als ich vermutet hatte, denn Rainers Mutter sah plötzlich mit Tränen in den Augen vom Geschirrspüler hoch und nahm mich spontan in die Arme. Sie roch nach Braten.
Dann wischte sie sich übers Gesicht und sagte, sie habe von Anfang an das Gefühl gehabt, ich sei die Richtige für Rainer. Darum finde sie, dass es an der Zeit sei, mir etwas zu geben, was sie noch nie einer von Rainers Frauen gegeben hatte. Sie entschuldigte sich kurz, und ich ging davon aus, gleich mit einem Haufen Familienschmuck behängt zu werden. Vorsichtshalber nahm ich meine Ohrringe schon mal raus und zog zwei meiner drei Ringe ab. Ich wollte nicht so wirken, als hätte ich es nicht nötig.
Als Rainers Mutter wiederkam, hatte sie ein gelbes Heftchen in der Hand. »Rainers Impfpass«, sagte sie und überreichte ihn mir, als wäre es der Schlüssel zum Bernsteinzimmer. Ich dachte, vielleicht hat sie ja Geldscheine hineingelegt, wurde aber enttäuscht. Ich sah Rainers Mutter an. »Ja, also … ich weiß gar nicht, was ich sagen soll …«, stotterte ich, und das war das Ehrlichste, was ich an diesem Tag von mir gegeben hatte. Rainers Mutter klopfte mir auf die Schulter und nickte, als verstünde sie genau, was ich meinte.
»Packen Sie es weg, Rainer braucht das nicht zu wissen. Es ist gut, dass er jetzt jemanden hat, der sich richtig um ihn kümmert. Im Mai muss er zur Tetanus.«
Als Rainer und ich wieder im Auto saßen, fand er, dass es doch ganz nett gewesen wäre, und wollte wissen, wie denn jetzt meine Eltern eigentlich so sind.
»Ganz normal«, sagte ich. Und habe es nie ernster gemeint.
Die Fähigkeit, Schwiegermütter zu beglücken, wird in Kai Pflaume gemessen. Der ist nämlich ein Schwiegermuttertyp. So heißt es jedenfalls oft in der Presse, und es ist immer abwertend gemeint. Ich bin nicht mal ein Viertel Kai Pflaume. Kein Mann ist freiwillig Kai Pflaume, vermutlich nicht mal Kai Pflaume. Kein
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