Die Klassefrau
nur ein Kuss!
Sofort noch dem Aufwachen sprang sie aus dem Bett und stellte sich unter die Dusche. Sie hatte zwar schon von der beeindruckenden Wirkung kalten Wassers gehört, es aber noch nicht ausprobiert.
Es funktionierte nicht.
Sie setzte sich an den Küchentisch, die Hände um einen Kaffeebecher gelegt. Doch sie spürte weder die Wärme des Bechers noch ihren Kater, der sich an ihrem Bein rieb. Sie nahm weder den Nebel vor ihrem Fenster noch Horace wahr, der inzwischen vor seinem Napf auf Futter wartete. Sie sah, genau wie letzte Nacht, bevor sie in den Schlaf geglitten war, Peter Drakes Gesicht vor sich.
Es war das offenste Gesicht, das sie je gesehen hatte und das ihr alles verriet, was er dachte und empfand. Eine Tatsache, die Mallory zutiefst verunsicherte. Dass er sich ihr so öffnete und damit so verletzbar machte, obwohl er sie doch kaum kannte!
Sie barg den Kopf in den Händen. Oh, sie verlor noch den Verstand! Dieser Abend war … unbeschreiblich gewesen, eine der befreiendsten Erfahrungen ihres Lebens. Aber sämtliche Alarmglocken in ihr schrillten lautstark und rieten ihr, wegzulaufen, und zwar auf der Stelle. Aus welchem anderen Grund hatte sie sonst diese Träume vom Tod und ihrem früheren Leben? Am liebsten wäre sie weggelaufen und hätte sich versteckt, den Kopf in den Sand gesteckt, einfach irgendetwas getan, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass sie im Begriff stand, sich nicht nur körperlich zu Peter Drake hingezogen zu fühlen, sondern sich Hals über Kopf in ihn zu verlieben.
»Idiotin«, knurrte sie.
Horace miaute beleidigt.
»Nicht du. Ich .« Mallory seufzte tief, ehe sie sich endlich aufraffte und ihm sein Frühstück gab. »Ich bin der Idiot hier, Horace. Ich habe mich freiwillig, nein, geradezu begierig einem Mann an den Hals geworfen, der geschworen hat, dass er mich umwerben, erobern und heiraten wird. So benimmt sich einfach keine vernünftige Frau, die so großen Wert darauf legt, sich zu schützen.«
Doch Horace war viel zu sehr mit seinem Frühstück beschäftigt, um etwas zu erwidern.
Mallory seufzte erneut. Beim Zubettgehen war ihre Haut noch immer erhitzt gewesen, und sie hatte seine Küsse noch auf ihren Lippen gespürt. Sie war nicht in der Lage gewesen, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, und daran hatte sich bislang nichts geändert. Sie hätte es gern auf Schlafmangel geschoben, aber Mallory hatte den Verdacht, dass die Ursache ihrer Benommenheit tiefer lag. Keine Frage, die Schuld lag bei Peter Drake.
In gerade mal zwei Wochen hatte er ihre wohl geordnete Existenz vollkommen auf den Kopf gestellt. Niemand konnte klar denken, wenn die Welt auf diese Weise aus den Fugen gehoben wurde. Aber rationales Denken war das Einzige, woran sie sich seit so langer Zeit hatte klammern können. Sie konnte es doch nicht einfach über Bord werfen und ihren Gefühlen und Bedürfnissen nachgeben, oder? Nein, natürlich nicht! Gestern Abend waren einige Mauern eingestürzt, das wollte sie ja durchaus zugeben, aber sie hatte immer noch einige stählerne Barrieren zu ihrem Schutz aufzubieten.
Natürlich wusste sie jetzt, dass sie Peter Drake sehr gern mochte und dass sie beide erstaunlich viele Gemeinsamkeiten besaßen. Gleichzeitig waren sie verschieden genug, um die Gesellschaft des anderen als reizvoll zu empfinden. Davon abgesehen hatte sie noch nie dieses überwältigende Bedürfnis gehabt, jemanden zu umarmen und umarmt zu werden, jemanden küssen und sich mit ihm vereinen zu wollen. Nicht bei Carlo oder bei irgendeinem der Männer, die sie vor oder nach ihm kennen gelernt hatte.
Trotzdem war das noch lange kein Grund, sich einem Mann an den Hals zu werfen. Mallory seufzte wehmütig. Peter um den Hals zu fallen war einfach wundervoll, da er ihre Umarmung jedes Mal so voller Inbrunst erwiderte.
Mallory zwang sich, ins Hier und Jetzt zurückzukehren. Solche Gedankenspiele waren nicht gut für sie. Sie musste praktisch denken. Ihr einziger Lebensbegleiter war nun einmal der Tod und nicht Peters pulsierendes Leben und seine Leidenschaft für sie. Das Leben bestand nicht nur aus Lachen und Freude, sondern daraus, sich keine Illusionen über den Tod zu machen und über das, was man haben konnte und was nicht. Das Schicksal hatte entschieden, dass es in diesem Leben keine Freunde und Liebhaber und Beziehungen und Peter für sie geben würde.
Das Läuten der Türglocke ließ Mallory zusammenzucken. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Viertel nach sechs. Sie wusste,
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