Die Klaue des Schlichters
Ertrinkender verzweifelt nach Luft schnappt. Hätte ich ihren Zusagen ganz vertraut, hätte ich mich in diesem Augenblick ins Wasser gestürzt und alles andere vergessen.
»Du hast eine Krone, auch wenn du es noch nicht weißt. Glaubst du, daß wir, die wir in so vielen Wassern schwimmen –selbst zwischen den Sternen – auf einen einzigen Moment begrenzt wären? Wir haben gesehen, was du werden wirst, und was du gewesen bist. Erst gestern lagst du in meiner hohlen Hand, und ich hob dich über das Gewirr der Schlingpflanzen, auf daß du nicht im Gyoll ertränkest, und rettete dich für diesen Augenblick.«
»Gib mir die Gabe, Wasser zu atmen!« sagte ich. »Und laß es mich auf der anderen Seite der Sandbank probieren.
Zeigt sich, daß du die Wahrheit sprichst, will ich mit dir gehen.«
Ich beobachtete, wie die gewaltigen Lippen sich auftaten. Ich kann nicht sagen, wie laut sie im Fluß gesprochen hat, auf daß ich sie hörte, wo ich in der Luft gestanden habe; aber wiederum sind bei ihren Worten Fische aufgesprungen.
»Es geht nicht ganz so einfach. Du mußt im Vertrauen mit mir kommen, obgleich es nur einen Moment dauert. Komm!«
Sie streckte die Arme nach mir aus, und gleichzeitig vernahm ich Dorcas’ gequälten Hilferuf.
Ich wirbelte herum, um zu ihr zu eilen. Dennoch wäre ich wohl, hätte die Undine nur gewartet, zurückgekehrt. Sie wartete aber nicht. Der ganze Fluß schien sich aus seinem Bett zu heben, tosend wie eine Brandung. Es war, als ergösse sich ein See über meinen Kopf, plumpste wie ein Stein auf mich und wirbelte mich in seinen Strudeln umher wie einen Stock. Im nächsten Augenblick, als das Wasser zurückging, fand ich mich hoch auf dem Ufer, völlig durchnäßt und arg blessiert und ohne Schwert. Fünfzig Schritt von mir entfernt bäumte sich der weiße Leib der Undine halb aus dem Fluß. Ohne das tragende Wasser hing das Fleisch schlaff von den Knochen, die unter dem Gewicht bald zu bersten drohten, und das Haar fiel in glatten Strähnen bis zum Sand herab. Ich bemerkte, daß Wasser und Blut aus ihren Nüstern rannen.
Ich floh, und als ich Dorcas bei unserem Feuer erreichte, war von der Udine bis auf den aufgewirbelten Schlamm unter der Sandbank, der das Wasser trübte, nichts mehr zu sehen.
Dorcas Gesicht war fast genauso weiß. »Was war das?« flüsterte sie. »Wo warst du?«
»Du hast’s also gesehn. Ich befürchtete …«
»Wie schrecklich.« Dorcas hatte sich in meine Arme geworfen und schmiegte sich an mich. »Entsetzlich.«
»Aber deswegen hast du doch nicht gerufen, oder? Du konntest sie von hier erst sehen, als sie aus dem Wasser stieg.«
Dorcas zeigte stumm auf die andere Seite des Feuers, und ich entdeckte eine Blutlache, wo Jolenta lag.
Es waren in ihrem linken Handgelenk zwei schmale, etwa daumenlange Schnitte. Obwohl ich sie mit der Klaue berührte, wollte die Blutung nicht aufhören. Nachdem mehrere Verbände, die wir aus Dorcas’ spärlichem Kleidervorrat gerissen hatten, durchnäßt waren, kochte ich in einem kleinen Tiegel, den sie bei sich hatte, Nadel und Faden aus und nähte die Wundränder zusammen. Während all dessen war Jolenta anscheinend halb bewußtlos; hin und wieder tat sie die Augen auf, um sie sogleich wieder zu schließen, nahm uns aber nicht wahr. Sie sprach nur ein einziges Mal und sagte: »Nun siehst du, daß er, den du für deinen Gott gehalten, alles anrät und billigt, was ich dir verlockend angetragen. Ehe die Neue Sonne aufgeht, wollen wir einen neuen Anfang machen.« Damals erkannte ich nicht, daß es sich um einen Text ihrer Rolle handelte.
Als die Wunde nicht mehr blutete und wir sie an eine saubere Stelle umgelegt und sie gereinigt hatten, kehrte ich dorthin zurück, wo ich aufgeschlagen war, als das Wasser abfloß, und entdeckte nach einigem Suchen Terminus Est, das nur mit dem Knauf und einem zwei Finger breiten Stück des Heftes aus dem nassen Sand ragte.
Ich säuberte und ölte die Klinge ein, und Dorcas und ich besprachen uns, was zu tun sei. Ich erzählte ihr von meinem Traum in der Nacht vor der Begegnung mit Baldanders und Dr. Talos und dann von der Stimme der Undine, die ich vernommen hatte, während sie und Jolenta schliefen, und was sie gesagt hatte.
»Ist sie noch da, was meinst du? Du warst beim Schwertsuchen unten. Hättest du sie durchs Wasser sehen können, wenn sie auf dem Grund gewesen wäre?«
Ich schüttelte den Kopf. »Das ist sie wohl nicht. Sie hat sich irgendwie verletzt, als sie das Wasser verlassen
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