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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Augen verloren, während ich unter Wasser ein kleines Stück stromabwärts trieb. Dann ging mir die Luft aus; ich hob den Kopf aus dem Wasser, und schon waren sie wieder über mir.
    Gewiß kommt für jeden einmal die Stunde, wo er eigentlich sterben sollte. Dies ist, so habe ich stets geglaubt, die meine gewesen. Mein ganzes Leben danach habe ich für eine bloße Dreingabe, ein unverdientes Geschenk erachtet. Ich war unbewaffnet, mein rechter Arm taub und zerfleischt. Die Menschenaffen wurden nun dreist. Diese Dreistigkeit verlängerte mein Leben um einen Augenblick, denn so viele stürmten heran, um mich zu töten, daß sie einander behinderten. Ich versetzte einem einen Tritt ins Gesicht. Ein zweiter packte meinen Stiefel; etwas Helles blitzte auf, und ich (was für ein Instinkt, welche Eingebung mich hierin geleitet hat, weiß ich nicht) griff danach. Ich hielt die Klaue in der Hand.
    Als ob sie alles Totenlicht in sich vereinigte und ihm die Farbe des Lebens verliehe, verströmte sie ein klares, azurblaues Licht, das die Höhle erfüllte. Einen Herzschlag lang hielten die Menschenaffen inne wie bei einem Gongschlag, und ich hob das Juwel über den Kopf; was für Schrecknisse ich erhofft habe (falls ich überhaupt gehofft habe), kann ich heute nicht sagen.
    Es geschah etwas ganz anderes. Die Menschenaffen flohen weder kreischend, noch setzten sie zu neuen Angriffen an. Vielmehr wichen sie zurück, bis den nächsten etwa sechs Schritte von mir trennten, bückten sich nieder und drückten das Gesicht auf den Grubenboden. Es herrschte wieder Stille wie beim Eintritt in die Mine; bis auf das Murmeln des Baches war kein Laut zu vernehmen. Nun jedoch konnte ich alles sehen von den Stapeln matter Silberbarren neben mir bis ins hinterste Ende, wo die Menschaffen von einer verfallenen Mauer herabgestiegen waren, die sich meinem Auge damals als Flecke weißlichen Feuers dargeboten hatte.
    Rückwärts setzte ich mich in Bewegung. Das ließ die Menschenaffen aufblicken, und ihre Gesichter waren die Gesichter von Menschen. Als ich sie so sah, wußte ich um die mühsamen Äonen in der Finsternis, aus denen ihre Fänge und Glotzaugen und Schlappohren hervorgegangen waren. Wir, so sagen die Gelehrten, sind einmal Affen, glückliche Affen in Wäldern gewesen, die vor so langer Zeit den Wüsten haben weichen müssen, daß sie namenlos sind. Greise nehmen wieder kindliches Gebaren an, wenn die Jahre schließlich ihren Verstand umwölken. Kann es nicht sein, daß die Menschheit (wie ein Greis) in ihrer Erscheinung sich zum Bild von damals rückentwickelt, wenn die alte Sonne schließlich stirbt und wir im Dunkeln über die Gebeine unserer Vorfahren schlurfen? Ich sah unsere Zukunft – zumindest eine Zukunft – und es dauerten mich diejenigen, die in den dunklen Schlachten gesiegt hatten, mehr als jene, die in der endlosen Nacht ihr Blut vergossen hatten.
    Ich tat also (wie gesagt) einen Schritt zurück, dann einen zweiten, und noch immer versuchte keiner, mich aufzuhalten. Daraufhin fiel mir Terminus Est ein. Es galt zu fliehen, aber hätte auch die schrecklichste Schlacht gewütet, ich hätte mich verachtet, hätte ich es zurückgelassen.
    Ich konnte unbehelligt gehen, aber ohne meine Klinge, das hätte ich nicht ertragen können. Ich schritt langsam wieder vorwärts und suchte im Schein der Klaue das glänzende Schwert.
    Hierbei erhellten sich die Gesichter jener wunderlichen, verzerrten Menschengestalten, und ich las in ihren Augen die Hoffnung, ich bliebe bei ihnen, so daß die Klaue und ihr blaues Licht für immer ihres wären. Wie entsetzlich scheint es mir nun, da ich die Worte niederschreibe; dennoch wäre es das, glaube ich, in Wirklichkeit nicht gewesen. So bestialisch sie auch wirkten, ich entdeckte in jedem rohen Gesicht tiefe Bewunderung; seien sie auch in vielerlei Hinsicht schlechter als wir, dachte ich (und denke ich jetzt), in mancher Hinsicht sind diese mit greulicher Unschuld begnadeten Menschen der verborgenen unterirdischen Städte besser.
    Von Seite zu Seite suchte ich, von Ufer zu Ufer; aber ich fand nichts, obschon mir so war, als schiene das Licht der Klaue heller und immer noch heller, bis zuletzt jeder steinerne Zahn, der von der Decke dieser großen Höhle hing, hinter sich einen scharfumrissenen, pechschwarzen Schatten warf. Schließlich rief ich den hockenden Männern zu: »Mein Schwert … Wo ist mein Schwert? Hat’s einer von euch genommen?«
    Ich hätte sie nicht angesprochen, hätte mich die

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