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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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laufen konnte, das Ufer, wo die dunklen Gebilde standen. Inzwischen hatten sie mich fast erreicht, und einige schwärmten in weitem Bogen links und rechts von mir aus, um mir den Rückweg zur Außenwelt abzuschneiden.
    Irgendwie waren sie grauenerregend – was für mich in gewisser Hinsicht unerklärbar bleibt. Der haarige, krumme Körper mit den langen Armen, kurzen Beinen und dem gedrungenen Nacken erinnerte an Affen. Ihr Gebiß glich den Fängen eines Smilodons; die gebogenen Sägezähne reichten fingerlang bis unter die mächtigen Kiefer. Dennoch war es nichts von alledem – auch nicht die Fluoreszenz, die ihrem Fell anhaftete – was mir solches Grauen einflößte. Es war etwas in ihren Gesichtern, in den großen Augen mit der bleichen Iris vielleicht. Es verriet mir, daß sie Menschen wie ich waren. Wie die Alten in gebrechlichen Körpern eingeschlossen sind, wie Frauen in schwachen Körpern stecken, welche sie zum Opfer der schmutzigen Gelüste von Tausenden machen, so waren auch sie gefangen in einer scheußlichen Affengestalt – und wußten es. Als sie mich umzingelten, wurde dieses Wissen offenkundig, und es war um so schlimmer, als jene Augen als einzige Körperteile nicht leuchteten.
    Ich holte Luft, um noch einmal Thecla zu rufen. Dann besann ich mich eines Besseren, schloß den Mund und zückte Terminus Est.
    Einer, der größte oder zumindest kühnste, rückte mir zu Leibe. Er trug eine Keule mit kurzem Stiel, der ursprünglich ein Oberschenkelknochen gewesen war. Außer Reichweite meines Schwertes drohte er damit, während er brüllte und mit dem Metallkopf seiner Waffe in die lange Hand klatschte.
    Als hinter mir etwas ins Wasser platschte, wirbelte ich herum und sah gerade noch, wie einer der leuchtenden Menschenaffen im Bach watete. Er wich flugs zurück, als ich nach ihm hieb, aber die eckige Spitze meiner Klinge fuhr ihm in die Achselhöhle. So erlesen war diese Klinge, so hervorragend ausgewogen und vollendet geschliffen, daß sie sich durchs Brustbein wieder herausschnitt.
    Er stürzte und wurde vom Bach fortgespült, doch war mir, ehe ihn mein Schwert durchbohrte, nicht entgangen, wie widerwillig er durchs Wasser stapfte, welches seine Bewegungen ebenso stark wie die meinigen hemmte. Ich drehte mich so, daß ich alle Angreifer im Auge behalten konnte, zog mich ins Wasser zurück und hielt langsam auf die Stelle zu, wo es in die Außenwelt strömte. Könnte ich nur den engen Stollen erreichen, wäre ich in Sicherheit; daß sie das sicher niemals zuließen, war mir jedoch ebenfalls klar.
    Immer dichter umringten sie mich, bis ich wohl von Aberhunderten eingeschlossen war. Im Licht, das sie ausstrahlten, konnte ich nun erkennen, daß die winkligen Gebilde, die mir vorhin aufgefallen waren, tatsächlich Konstruktionen von offenbar altertümlichster Bauweise aus fugenlosem, grauem, von Fledermauskot überkrustetem Gestein darstellten.
    Die unregelmäßigen Säulen waren übereinandergestapelte Barren. Der Farbe nach zu urteilen, handelte es sich um Silber. Hundert Stück bildeten eine Säule, wovon es wiederum Aberhunderte in der versunkenen Stadt gab.
    All dies betrachtete ich, während ich ein halbes Dutzend Schritte ging. Beim siebenten stürzten sich mindestens zwanzig von allen Seiten auf mich. Ich schwang meine Klinge im Kreise, und das Surren erfüllte diese unterirdische Welt und hallte, durch das Gebell und Gebrüll vernehmbar, von den steinernen Wänden und der Decke wider.
    In solchen Momenten dreht der Zeitsinn durch. Ich entsinne mich an den blitzschnellen Angriff und meine verzweifelten Schläge, aber im nachhinein scheint sich alles binnen eines Atemzugs abgespielt zu haben. Zwei und fünf und zehn stürzten nieder, bis das im Totenlicht blutschwarze Wasser um mich herum von Sterbenden und Toten wimmelte; dennoch warfen sich immer neue auf mich. Etwas traf mich wuchtig wie die Faust eines Riesen auf die Schulter. Terminus Est fiel mir aus der Hand, und die Last der Leiber drückte mich nach unten, so daß ein blinder Unterwasserkampf entbrannte. Die Fänge meines Feindes fuhren wie Dornen in meinen Arm, aber er hatte wohl Angst vor dem Ertrinken, was seine Angriffslust dämpfte. Ich rammte meine Finger in seine breiten Nüstern und brach ihm das Genick, das mir härter als ein Menschenhals vorgekommen war.
    Hätte ich den Atem so lange anhalten können, bis ich mich zum Stollen vorgearbeitet hätte, wäre ich vielleicht entkommen. Die Menschenaffen hatten mich offenbar aus den

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