Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
Vom Netzwerk:
Aussehens war, das erfuhr ich nie. Ich stellte den Fuß auf Agias Nacken, und der Menschenaffe richtete sich, mir zugekehrt, auf, sank aber sogleich wieder in die Hockhaltung, die ich in der Mine beobachtet hatte, und streckte die Arme empor. Eine Hand fehlte; ich erkannte hinter dem glatten Schnitt Terminus Est. Der Menschenaffe murmelte etwas, das ich nicht verstand.
    Ich versuchte zu antworten. »Ja, das hab’ ich getan. Tut mir leid. Nun herrscht wieder Frieden zwischen uns.«
    Sein Ausdruck blieb flehentlich, als er abermals zum Reden ansetzte. Nach wie vor sickerte Blut aus dem Stumpf, doch muß seinesgleichen über einen Abklemmechanismus zum Verschließen der Arterien besitzen, wie es offenbar bei Thylacodonten der Fall ist; ohne Behandlung wäre ein Mensch an einer solchen Wunde binnen Minuten verblutet.
    »Ich hab’ sie abgeschlagen«, sagte ich. »Aber das ist passiert, als wir noch gekämpft haben, bevor ihr die Klaue des Schlichters gesehen habt.« Dann kam mir in den Sinn, daß er mir gewiß nach draußen gefolgt war, um noch einmal das Juwel zu sehen und der Furcht vor dem, was wir unter dem Berg geweckt hatten, zu trotzen. Ich schob die Hand in den Stiefelschaft und zog die Klaue hervor; kaum hatte ich dies getan, erkannte ich, wie töricht ich gewesen war, den Stiefel samt seinem kostbaren Inhalt so nahe in Agias Reichweite zu bringen, denn ihre Augen wurden groß vor Begierde, als der Menschenaffe sich demütig tiefer beugte und seinen mitleiderregenden Stumpf vorstreckte.
    Eine Weile verharrten wir alle drei regungslos und mußten in diesem unheimlichen Licht ein wunderliches Bild abgegeben haben. Ein verblüffte Stimme – Jonas – rief »Severian!« vom Hang herunter. Wie der Trompetenstoß in einem Schattenspiel, der alles Verstellen auflöst, zerstörte dieser Ruf unser Tableau. Ich senkte die Klaue und verbarg sie in der Hand. Der Menschenaffe stürmte zur Felswand, und Agia zappelte fluchend unter meinem Fuß.
    Ein Schlag mit der flachen Klinge brachte sie wieder zur Ruhe, aber ich behielt meinen Stiefel auf ihr, bis Jonas kam und wir sie zu zweit bewachen konnten.
    »Ich dachte mir, du könntest Hilfe gebrauchen«, erklärte er. »Wie ich sehe, hab’ ich mich getäuscht.« Er blickte zu den Leichen der Männer in Agias Begleitung.
    Ich antwortete: »Das war nicht der wirkliche Kampf.«
    Agia setzte sich auf und rieb sich den Nacken und die Schultern. »Wir waren zu viert, und wir hätten dich gekriegt, aber mit einemmal stürzten diese Glühwürmer, diese Tigermenschen aus dem Loch, so daß zwei von uns Angst bekamen und sich aus dem Staub machten.«
    Jonas kratzte sich mit seiner Stahlhand den Kopf, was sich anhörte wie das Striegeln eines Schlachtrosses. »Also sah ich, was ich zu sehen glaubte. Ich habe mich schon gewundert.«
    Ich fragte ihn, was er zu sehen geglaubt hatte.
    »Eine leuchtende, pelzvermummte Gestalt, die sich vor dir verneigte. Du hieltest wohl einen Becher feurigen Weinbrands. Oder war es ein Räucherfaß? Was ist das?« Er bückte sich nach einem Gegenstand am Wasserrand, wo der Menschenaffe gehockt hatte.
    »Eine Keule.«
    »Ja, das sehe ich.« Am Ende des knöchernen Griffs befand sich eine Sehnenschlinge, die Jonas über sein Handgelenk streifte. »Was waren das für Leute, die dich töten wollten?«
    »Wir hätten dich«, sagte Agia, »wäre nicht dieser Mantel gewesen. Wir sahen ihn aus dem Loch kommen, aber der Mantel bedeckte ihn beim Runterklettern, so daß meine Männer das Ziel bis auf die Haut der Arme nicht sehen konnten.«
    Ich erklärte in knappster Form, wie ich Agia und ihrem Zwillingsbruder begegnet war, und berichtete vom Tode Agilus’.
    »Sie ist also gekommen, um ihm nachzufolgen.« Jonas blickte von ihr auf die scharlachrote Klinge von Terminus Est und zuckte leicht die Achseln. »Ich hab’ meinen Merychippus da oben gelassen und sollte wohl besser gehen und nach ihm schauen. Auf diese Weise kann ich nachher sagen, nichts gesehen zu haben. Ist sie die Frau, die den Brief verfaßt hat?«
    »Ich hätt’s mir denken können. Ich hatte ihr von Thecla erzählt. Du weißt nichts von Thecla, aber sie, und um Thecla ist es in diesem Brief gegangen. Ich erzählte ihr bei unserem Gang durch den Botanischen Garten von Nessus davon. Es waren Fehler im Brief und Dinge, die Thecla nie gesagt hätte, aber ich nahm mir keine Zeit zum Überlegen, als ich den Brief las.«
    Ich wandte mich ab und schob die Klaue tief in meinen Stiefelschaft. »Es ist wohl

Weitere Kostenlose Bücher