Die Klaue des Schlichters
kein guter Reiter, trotzdem habe ich den Fuß in den Steigbügel des Rappen gestellt und mich hochgeschwungen. Das Roß, das ich vorgestern abend von Vodalus gestohlen hatte, war mit einem hohen Soldatensattel ausgerüstet, der zwar unmenschlich hart war, aus dem man aber nicht so leicht stürzen konnte; dieser Rappe hingegen trug ein fast flaches Ding aus gepolstertem Samt, das sowohl weich als auch tückisch war. Kaum hatte ich die Beine um ihn geschlungen, als er auch schon eifrig zu tänzeln begann.
Es war vielleicht die unmöglichste Zeit, zugleich aber auch die einzige Zeit, die blieb. »An wieviel erinnerst du dich?« fragte ich.
»Bezüglich der Frau in der Nacht? An nichts.« Jonas umging den Rappen, band die Zügel des Schimmels los und sprang auf. »Ich habe nicht gegessen. Vodalus beobachtete dich, aber nachdem sie die Droge geschluckt hatten, beachtete mich keiner mehr. Außerdem habe ich die Kunst gelernt, mich essend zu stellen, ohne es allerdings wirklich zu tun.«
Ich sah ihn verblüfft an.
»Auch bei dir habe ich das mehrmals angewandt – beim gestrigen Frühstück, zum Beispiel. Ich habe nicht viel Appetit und finde das sehr nützlich, wenn ich in Gesellschaft bin.« Während er den Schimmel einen Waldweg hinab lenkte, rief er über die Schulter zurück: »Zufällig kenne ich die Strecke recht gut, zumindest das erste Stück davon. Aber würdest du so nett sein und mir sagen, was uns dorthin führt?«
»Dorcas und Jolenta werden dort sein«, antwortete ich. »Und ich habe für unsern Herrn, Vodalus, etwas zu erledigen.« Weil wir mit großer Sicherheit beobachtet wurden, hielt ich es für besser zu verschweigen, daß ich keineswegs die Absicht dazu hatte.
Hier muß ich, damit diese Erzählung meiner Laufbahn keine Ewigkeit dauert, die Ereignisse der folgenden Tage kurzerhand überspringen. Während unseres Rittes berichtete ich Jonas alles, was mir Vodalus gesagt hatte, und viel mehr. Wir hielten in Dörfern und Städten, auf die wir stießen, Rast, und wo wir weilten, waltete ich bedarfsgemäß meines Amtes – nicht weil wir das Geld, das ich mir verdiente, unbedingt gebraucht hätten (denn wir besaßen die Säckel von Chatelaine Thea, den Großteil meines Lohnes von Saltus und Jonas’ Verkaufserlös für das Gold des Menschenaffen), sondern um keinen Argwohn zu erregen.
An unserm vierten Morgen jagten wir noch immer gen Norden. Der Gyoll sonnte sich zu unserer Rechten wie ein träger Drache, die verbotene Straße bewachend, die an seinem Ufer verwilderte. Am Vortag hatten wir patrouillierende Ulanen gesehen, Männer auf Rossen wie den unsrigen, mit Lanzen bewehrt, ähnlich jenen, die am Erbärmlichen Tor die Reisenden niedergemetzelt hatten.
Jonas, dem seit unserem Aufbruch nicht wohl zumute war, murmelte: »Wir müssen uns beeilen, wenn wir noch heut’ abend in die Nähe des Hauses Absolut kommen wollen. Ich wünschte, Vodalus hätte dir mitgeteilt, wann diese Feier beginnt und wie lange sie in etwa dauert.« »Ist es noch weit zum Haus Absolut?« fragte ich.
Er deutete auf eine Insel im Fluß. »Ich glaube, mich daran zu erinnern. Als ich zwei Tage davon entfernt war, erfuhr ich von Pilgern, das Haus Absolut sei in der Nähe davon. Sie warnten mich vor den Prätorianern und wußten offenbar, wovon sie redeten.«
Seinem Beispiel folgend, hatte ich mein Roß in einen Trab wechseln lassen. »Warst du zu Fuß?«
»Mit dem Merychippus – ich glaube, das arme Tier werde ich nicht wiedersehn. Offengestanden war es in seinen besten Zeiten langsamer als diese Renner in ihren schlechtesten, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie doppelt so schnell sind.«
Ich wollte schon einwenden, Vodalus hätte uns wohl kaum geschickt, wenn er es nicht für möglich gehalten hätte, daß wir das Haus Absolut rechtzeitig erreichten, als etwas eine Handbreit an meinem Kopf vorbeiglitt, das mir zunächst wie eine große Fledermaus vorgekommen war.
Wenn ich auch keine Ahnung hatte, was es war, Jonas wußte es. Er rief mir etwas zu, das ich nicht verstehen konnte, und peitschte mit seinem Zügelende auf meinen Renner ein. Er sprang an, so daß ich fast gestürzt wäre, und im nächsten Augenblick jagten wir in wildem Galopp davon. Ich erinnere mich, zwischen zwei Bäumen mit keiner Spanne Platz zu beiden Seiten hindurchgeschossen zu sein und das Ding zu sehen, das sich wie ein Rußfleck vom Himmel abgezeichnet hat. Im nächsten Augenblick ratterte es durchs Geäst hinter uns.
Als wir vom Waldrand
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