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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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in die trockene Wasserrinne dahinter wechselten, war es nicht mehr zu sehen; aber als wir den Talgrund erreichten und die jenseitige Böschung anritten, tauchte es aus den Bäumen auf, zerfetzter denn je.
    Ein Stoßgebet lang war mir, als hätte es uns aus den Augen verloren, denn es schwebte in die falsche Richtung, nur um dann im flachen Segelflug auf uns niederzustoßen. Ich hatte Terminus Est gezückt und lenkte den Rappen zwischen das flatternde Ding und Jonas.
    So schnell unsre Renner auch waren, es näherte sich viel schneller. Hätte ich eine Stoßwaffe besessen, hätte ich es beim Niederschnellen wohl aufspießen können, was ihm sicherlich den Garaus gemacht hätte. So mußte ich es eben mit einem zweihändigen Hieb erwischen. Es war wie ein Schlag durch die Luft, und offenbar war das Ding sogar für meine beißende Schneide zu leicht und zäh. Im nächsten Moment riß es entzwei wie ein Lumpen, wobei ich kurz eine Hitze spürte, als wäre das Türchen eines Ofens geöffnet und lautlos wieder geschlossen worden.
    Ich wollte absteigen, um es mir anzusehn, aber Jonas schrie und winkte mir. Wir hatten den hohen Wald von Saltus weit hinter uns gelassen und ritten in ein zerklüftetes Land mit steilen Hängen und struppigen Zedern. Ein solcher Hain stand auf der Kuppe eines Hügels; tolldreist drangen wir in das Dickicht ein, flach auf den Hals unserer Renner geduckt.
    Bald wurde das Geäst so dicht, daß sie nur noch im Schritt vorwärtskamen. Sogleich stießen wir auf eine blanke Felswand und waren zum Anhalten gezwungen. Nachdem wir nicht mehr durch das Geäst brachen, konnte ich hinter uns noch etwas hören – ein dürres Rascheln, wie wenn ein verwundeter Vogel durch die Wipfel flatterte. Der heilsame Zedernduft drückte auf meine Lungen.
    »Wir müssen hier raus«, brüllte Jonas, »oder wenigstens in Bewegung bleiben!« Ein Aststumpf hatte ihm die Wange aufgeschrammt; beim Sprechen rann ihm das Blut herunter. Nachdem er sich in alle Richtungen umgesehen hatte, entschied er sich für rechts, zum Fluß hin, und drosch auf seinen Schimmel ein, um ihn in ein schier undurchdringliches Dickicht zu treiben.
    Ich ließ ihn vorausgehen und einen Weg bahnen, weil ich überlegte, daß ich das Ding bei einem neuen Angriff wohl am besten abwehren könnte. Bald entdeckte ich es zwischen den graugrünen Nadeln; sogleich bemerkte ich ein zweites, dem ersten sehr ähnliches, nur ein kurzes Stück dahinter.
    Das Gehölz hörte auf, so daß wir unsere Renner wieder in Galopp versetzen konnten. Die flatternden Trümmer der Nacht setzten hinter uns her, waren aber, obwohl die kleinere Gestalt sie schneller wirken ließ, langsamer als das größere einzelne.
    »Wir müssen ein Feuer finden«, übertönte Jonas das Hufgetrappel. »Oder ein großes Tier, das wir schlachten können. Wenn du einem der Rosse den Bauch aufschlitztest, würde das reichen. Wenn nicht, hätten wir keine Fluchtmöglichkeit mehr.«
    Mit einem Nicken gab ich zu verstehen, daß ich das Schlachten eines Rosses ablehnte, obwohl mir der Gedanke durch den Kopf fuhr, daß mein Rappe wohl bald vor Erschöpfung zusammenbrechen mochte. Jonas mußte seinen Schimmel zügeln, damit ich Schritt halten konnte. »Wollen sie Blut?« fragte ich.
    »Nein. Wärme.«
    Jonas stellte seinen Renner nach rechts und schlug ihm mit der Stahlhand auf die Flanke; und das wohl nicht zimperlich, denn das Tier sprang an wie gestochen. Wir übersprangen einen trockenen Wasserlauf, torkelten einen staubigen Hang hinunter und gelangten in freies Gelände, wo die Renner ihre Schnelligkeit unter Beweis stellen konnten.
    Hinter uns flatterten die rußschwarzen Fetzen. Sie schwirrten in doppelter Baumhöhe und schienen vom Wind vorangetrieben zu werden, obschon das sich neigende Gras anzeigte, daß sie gegen ihn anflogen.
    Vor uns änderte sich das Gelände so sachte und dennoch so abrupt wie ein Tuch an seinem Saum. Ein gewundenes grünes Band lag wie ausgerollt zu unseren Füßen, und ich lenkte den Rappen darauf, während ich ihn mit Zurufen anfeuerte und mit der flachen Klinge anstachelte. Er war nun über und über mit Schweiß und blutigen Streifen von den gebrochenen Zedernästen bedeckt. Hinter uns vernahm ich Jonas Warnschreie, denen ich aber keine Beachtung schenkte.
    Wir ritten um die Kurve, und durch eine Waldschneise bemerkte ich den glänzenden Fluß. Nach einer weiteren Kurve erlahmte der Rappe allmählich wieder – doch nun sah ich weit entfernt endlich, worauf ich gewartet

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