Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
Vom Netzwerk:
und versuchte, ihn durch Willenskraft zum Leben zu erwecken.
    »Komm!« rief Jonas. »Was tust du denn?«
    Ich wußte nicht, was ich ihm erwidern sollte.
    »Er ist noch nicht tot«, rief Jonas. »Runter von der Straße, bevor er seine Lanze findet!« Er trieb seinen Schimmel an.
    Aus der Ferne ertönte eine Stimme, die mir bekannt vorkam. »Meister!« Ich wandte den Kopf und blickte über die grasbewachsene Straße. »Meister!« Einer der Wanderer winkte mit dem Arm, und sie fingen beide zu laufen an.
    »Es ist Hethor«, sagte ich; aber Jonas war schon weg. Ich sah nach dem Ulanen. Er hatte nun beide Augen aufgeschlagen, und sein Brustkorb hob und senkte sich. Als ich die Klaue von seiner Stirn nahm und wieder in den Stiefelschaft steckte, setzte er sich auf. Ich rief Hethor und seinem Gefährten zu, von der Straße zu verschwinden, aber sie hörten mich offenbar nicht.
    »Wer bist du?«
    »Ein Freund«, versicherte ich.
    Obschon der Ulan noch geschwächt war, wollte er aufstehen. Ich reichte ihm die Hand und zog ihn hoch. Im ersten Moment starrte er auf alles – auf mich, die zwei herbeieilenden Männer, den Fluß und die Bäume. Die Rosse schienen ihn bange zu machen, sogar sein eigenes, das geduldig seines Reiters harrte. »Wo bin ich hier?«
    »Auf der alten Straße neben dem Gyoll.«
    Er schüttelte den Kopf und drückte ihn mit den Händen.
    Hethor kam keuchend angerannt wie irgendein Hund, der kommt, wenn er gerufen wird, und dafür gehätschelt werden will. Sein Gefährte, den er mindestens zweihundert Schritt hinter sich gelassen hatte, trug die protzige Kleidung eines Galanteriewarenhändlers.
    »M-m-meister«, sagte Hethor, »du kannst dir nicht vorstellen, was für Sch-schw-schwierigkeiten, tödliche Verluste und Mühsal wir auf uns genommen haben, um dich einzuholen über die Berge, die stürmischweiten Meere und u-u-unwegsamen Prärien dieser schönen Welt. Was bin ich, dein S-sklave, anderes als eine leere M-muschelschale, Spielball von tausend Gezeiten, hier an diesen einsamen Ort gespült, weil ich ohne dich nicht r-r-ruhen kann? W-wie könntest du, o Meister der roten Klauen, um die endlosen Plagen wissen, die du uns gekostet?«
    »Einiges, würde ich meinen, da ich dich zu Fuß in Saltus zurückließ und selbst ordentlich beritten war in diesen letzten Tagen.«
    »Du sagst es«, erwiderte er, »du sagst es.« Er warf seinem Gefährten einen bedeutungsvollen Blick zu, als hätte meine Bemerkung bekräftigt, was er selbst längst schon ausgesprochen hatte, und setzte sich zum Rasten auf den Boden.
    Der Ulan sagte langsam: »Ich bin der Kornett Mineas. Wer seid ihr?«
    Hethor senkte den Kopf, als wollte er sich verbeugen. »M-m-mein Herr ist der edle Severian, Diener des Autarchen – dessen Urin der Wein seiner Untertanen ist – von der Zunft der Wahrheitsucher und Büßer. H-h-hethor ist sein treuer Diener. Beuzec ist auch sein treuer Diener. Ich nehme an, der Mann, der gerade fortgeritten ist, ist gleichfalls sein Diener.«
    Ich bedeutete ihm mit einer Geste zu schweigen. »Wir sind alle nur arme Wanderer, Kornett. Wir sahen Euch hier ohnmächtig liegen und wollten Euch helfen. Noch vor einem Moment hielten wir Euch für tot; es war wohl sehr knapp.«
    »Wo bin ich hier?« fragte der Ulan abermals.
    Hethor setzte mit Eifer zu einer Antwort an. »Auf der Straße nördlich von Quieso. M-m-meister, wir waren auf einem Schiff und berühren die weiten Wasser des Gyoll in blinder Nacht. Wir gi-g-gingen in Quiesco an Land. Auf ihrem Deck und in ihren Segeln erarbeiteten wir uns die Ü-Überfahrt, Beuzec und ich. So langsam stromaufwärts, während die Glücklichen über uns auf ihrem Weg zum H-h-haus Absolut vorüberbrausten, aber sie m-m-machte unentwegt F-f-fahrt voraus, ob wir wachten oder schliefen, weshalb wir dich einholten.«
    »Haus Absolut?« murmelte der Ulan.
    Ich sagte: »Es ist nicht weit von hier, denke ich.«
    »Ich muß besonders wachsam sein.«
    »Bestimmt wird gleich einer Eurer Kameraden eintreffen.« Ich packte meinen Rappen und kletterte auf seinen hohen Rücken.
    »M-m-meister, du willst uns doch nicht wieder v-v-ver-lassen? Beuzec hat dich erst zweimal deines Amtes walten gesehen.«
    Ich wollte ihm gerade antworten, als ich etwas Weißes zwischen den Bäumen jenseits der Straße aufblitzen sah. Etwas Monströses bewegte sich dort. Sofort kam mir der Gedanke in den Sinn, daß der Sender der Notulen eine andere Waffe besäße, so daß ich dem Rappen die Absätze in die Flanken

Weitere Kostenlose Bücher