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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Leocadia in eine Falle mit Hilfe von Sancho, die …«
    Die Greisin Nicarete fiel ihm ins Wort. »Sieh!« rief sie. »Er kennt sie.«
    Und dem war so. Ein Gemach in Rosa und Elfenbein war vor mein geistiges Auge gerückt; ein Zimmer, von dem zwei Wände aus klarem, vorzüglich gerahmtem Glas waren. Feuer brannte in marmornen Herden, vom Sonnenlicht gedämpft, das durch das Glas strömte, aber es erfüllte das Zimmer mit einer trockenen Wärme und dem Duft von Sandelholz. Eine alte Frau saß, in viele Umhängetücher gehüllt, auf einem Stuhl, der einem Thron glich; eine Karaffe aus geschliffenem Kristall und mehrere braune Arzneifläschchen standen auf einem eingelegten Tisch neben ihr. »Eine ältere Dame mit einer Hakennase«, sagte ich. »Die Witwe von Fors.«
    »Du kennst sie also.« Lomer’s Kopf nickte bedächtig, als wollte er die Frage beantworten, die über die eigenen Lippen gekommen war. »Du bist der erste in vielen Jahren.«
    »Sagen wir, daß ich mich an sie erinnere.«
    »Gut.« Der Greis nickte. »Angeblich ist sie schon gestorben. Aber zu meiner Zeit war sie eine feine, gesunde, junge Dame. Die Chatelaine Leocadia hatte sie dazu überredet und dann veranlaßt, daß man uns entdeckte, was Sancha ja wußte. Da sie erst vierzehn war, wurde sie nicht eines Verbrechens bezichtigt. Wir hatten sowieso nichts verbrochen; sie hatte eben damit begonnen, mich zu entkleiden.«
    Ich sagte: »Du mußt selbst noch recht jung gewesen sein.«
    Da er nichts erwiderte, antwortete Nicarete für ihn. »Er war achtundzwanzig.«
    »Und du?« fragte ich. »Warum bist du hier?«
    »Ich bin eine Freiwillige.«
    Ich sah sie mit großen Augen an.
    »Jemand muß für das Böse auf Urth Buße tun, oder die Neue Sonne wird nie kommen. Und jemand muß auf diesen Ort und alle ähnlichen Orte aufmerksam machen. Ich stamme aus einer Waffenträgerfamilie, die mich wohl noch nicht vergessen hat, so daß die Wachen auf mich und alle anderen zu achten haben, so lange ich hier bin.«
    »Heißt das, du kannst gehen und willst nicht?«
    »Nein«, antwortete sie kopfschüttelnd. Ihr Haar war weiß, trotzdem trug sie es wie junge Frauen lose, über die Schultern hängend. »Ich werde gehen, aber nur unter meinen Bedingungen, die lauten, daß alle, die seit so langer Zeit hier sind, daß sie ihre Verbrechen vergessen haben, ebenfalls freigelassen werden.«
    Ich mußte an das Küchenmesser, das ich für Thecla gestohlen hatte, denken und an das scharlachrote Rinnsal, das unter ihrer Zellentür in der Oubliette hervorgedrungen war, und sagte: »Stimmt es, daß die Gefangenen hier ihre Verbrechen wirklich vergessen?«
    Lomer blickte auf. »Halt! Frage für Frage – lautet die Regel, die alte Regel. Wir hier halten die alten Regeln noch. Wir sind die letzten der alten Sippe, Nicarete und ich, aber solange wir leben, gelten die alten Regeln noch. Frage gegen Frage. Hast du Freunde, die sich für deine Freilassung einsetzen könnten?«
    Dorcas würde das sicherlich tun, wenn sie wüßte, wo ich bin. Dr. Talos war so unberechenbar wie die Figuren, die man in den Wolken sieht, und hätte mich aus eben diesem Grunde hier herausholen können, obwohl ihm ein wirkliches Motiv dafür fehlte. Von größter Bedeutung war vielleicht, daß ich Vodalus’ Bote war, und Vodalus hatte wenigstens einen Getreuen im Haus Absolut – den Mann, dem ich die Nachricht überbringen sollte. Ich hatte während unseres Rittes nach Norden zweimal versucht, das stählerne Ding fortzuwerfen, was ich aber nicht über mich brachte; offenbar hatte mir der Alzabo einen weiteren Bann auferlegt, wofür ich nun dankbar war.
    »Hast du Freunde? Verwandte? Dann könntest du womöglich etwas für uns tun.«
    »Freunde, vielleicht«, sagte ich. »Sie würden mir wohl helfen, wenn sie nur wüßten, was mir zugestoßen ist. Hätten sie denn überhaupt Möglichkeiten dazu?«
    In dieser Art unterhielten wir uns eine lange Zeit; wollte ich das alles niederschreiben, würde meine Geschichte kein Ende nehmen. In diesem Saal kann man nichts anderes tun als reden und sich mit ein paar einfachen Spielen beschäftigen, was die Gefangenen so lange betreiben, bis alle Würze aus ihnen gewichen ist und sie ausgelaugt sind wie ein Knorpel, auf dem ein Hungriger den ganzen Tag herumgekaut hat. In vielerlei Hinsicht haben es diese Gefangenen besser als die Klienten unter unserem Turm; bei Tag brauchen sie keine Qualen zu fürchten und sind nicht allein. Aber weil die meisten davon schon so lange hier

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