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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Feingebäck war nun weg, und bis auf Nicarete und mich waren auch die letzten Gefangenen wieder in das Vorzimmer geschlendert. Ich nahm eine Tasse von unten und füllte sie. Der Kaffee war sehr stark, heiß und schwarz und reichlich mit Thymianhonig, wie mir schien, gesüßt.
    »Willst du ihn nicht trinken?«
    »Ich bringe ihn Jonas. Werden sie etwas dagegen haben, wenn ich die Tasse mitnehme?«
    »Glaub’ ich nicht«, antwortete Nicarete, blickte aber dabei rasch nach den Soldaten.
    Sie hatten ihre Lanzen in die Achtungsposition vorgesetzt, und die Flammen an den Speerspitzen brannten heiler. Gemeinsam mit ihr trat ich in das Vorzimmer zurück, woraufhin die Türen hinter uns zufielen.
    Ich brachte noch einmal zur Sprache, daß sie mir am Vortag erzählt hatte, freiwillig hier zu sein, und fragte sie, ob sie wisse, warum die Gefangenen Kuchen und südländischen Kaffee bekämen.
    »Das weißt du selbst«, erwiderte sie. »Ich höre es dir an.« »Nein. Das kommt daher, daß ich glaube, Jonas weiß es.« »Vielleicht weiß er’s. Der Grund ist, daß dieses Gefängnis eigentlich gar kein Gefängnis sein soll. Vor langer Zeit – es war wohl vor der Herrschaft Ymars – war es der Brauch, daß der Autarch höchsteigen über jedes Verbrechen zu Gericht saß, das sich innerhalb des Hauses Absolut zugetragen hatte. Vielleicht waren die Autarchen der Meinung, durch das Anhören solcher Fälle auf Verschwörungen aufmerksam zu werden. Vielleicht hofften sie auch nur, durch Gerechtigkeit in ihrer unmittelbaren Umgebung Hassende zu beschämen und Neider zu entwaffnen. Wichtige Fälle wurden unverzüglich behandelt, während belanglosere bis zur Aburteilung hier zu warten hatten …«
    Die Türen, die soeben geschlossen worden waren, öffneten sich abermals. Ein kleiner, zerlumpter Mann mit Zahnlücken wurde hereingestoßen. Er fiel auf alle viere, raffte sich wieder auf und warf sich mir zu Füßen. Es war Hethor. Wie bei Jonas und mir, umzingelten ihn die Gefangenen, hoben ihn hoch und beschossen ihn mit Fragen. Nicarete und bald auch Lomer drängten sie fort und forderten ihn auf, den Namen zu nennen. Mit der Mütze in der Hand (was mich an jenen Morgen erinnerte, da er mich in unserem Lager auf der Wiese neben der Ctesiphon-Kreuzung gefunden hatte), antwortete er: »Der Sklave meines Herrn, der weitgereiste, l-l-landkundige Hethor bin ich, der staubige und zweimal verlassene Wanderer«, wobei er mich unentwegt aus glänzenden, verdrehten Augen ansah wie eine von Chatelaine Lelias haarlosen Ratten; Ratten, die im Kreise liefen und sich in den eigenen Schwanz bissen, wurde in die Hände geklatscht.
    Ich war so angewidert von seinem Anblick und so besorgt um Jonas, daß ich unverzüglich zurückging zu der Stelle, wo wir geschlafen hatten. Das Bild der zitternden, grauhäutigen Ratten war noch lebhaft vor mir, als ich mich niedersetzte; als hätte es sich darauf besonnen, daß es lediglich ein aus den Erinnerungen der toten Thecla entwendetes Bild war, erlosch es sodann flimmernd wie Domninas Fisch.
    »Ist etwas?« wollte Jonas wissen. Er wirkte schon ein bißchen kräftiger.
    »Mich bekümmert etwas.«
    »Das ist schlecht für einen Folterer, dennoch bin ich froh, daß du bei mir bist.«
    Ich legte die süßen Laibe in seinen Schoß und stellte die Tasse neben seine Hand. »Städtischer Kaffee – ungepfeffert. Magst du ihn so?«
    Er nickte, ergriff die Tasse und nahm einen Schluck daraus. »Trinkst du keinen?«
    »Ich hatte draußen einen. Iß das Brot; es schmeckt sehr gut.«
    Er biß von einem der Laibe ab. »Ich muß mit jemandem reden, also mußt du es sein, selbst wenn du mich nachher für ein Monstrum hältst. Du bist selbst ein Monstrum, weißt du das, Freund Severian? Ein Monstrum, weil du zum Beruf hast, was die meisten anderen nur zum Zeitvertreib tun.«
    »Du bist mit Metall geflickt«, eröffnete ich ihm. »Nicht nur an der Hand. Das habe ich seit längerem gewußt, mein Freund und Monstrum Jonas. Nun iß das Brot und trink den Kaffee! Wir werden wohl erst in acht Wachen oder so wieder etwas zum Essen bekommen.«
    »Wir sind verunglückt. Es hatte so lange gedauert – auf Urth –, daß es bei der Rückkehr keinen Hafen zum Anlegen mehr gab. Es riß mir eine Hand und das Gesicht ab. Meine Schiffskameraden reparierten mich, so gut es ging, aber es gab keine Ersatzteile mehr, nur biologisches Material.« Mit der Stahlhand, die ich stets nur für einen besseren Greifhaken gehalten hatte, hob er die Hand aus

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