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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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selbst wenn es erforderlich wäre – was bei einigen wohl wird sein müssen –, die meisten hinter vorgehaltenen Spießen herauszutreiben. Ich habe gleichfalls veranlaßt, daß Nicarete zu mir zu bringen sei, und als ich vorhin von unserer Gefangennahme geschrieben habe, hat mir mein Haushofmeister vermeldet, sie warte darauf, empfangen zu werden.)
    Jonas lag da, wie ich ihn zurückgelassen hatte, und wieder sah ich das Weiß seiner Augen im Dunkeln. »Du hast gesagt, du müßtest fort von hier, um nicht den Verstand zu verlieren. Also komm!« forderte ich ihn auf. »Der Sender der Notulen, wer immer das sein mag, hat eine neue Waffe ergriffen. Ich habe einen Ausgang gefunden, und wir machen uns nun auf den Weg.«
    Da er sich nicht rührte, mußte ich ihn schließlich am Arm packen und aufheben. Viele der Metallteile von ihm mußten aus jenen weißen Legierungen geformt sein, welche die Hand durch ihre Leichtigkeit täuschen, denn mir war, als würde ich einen Knaben aufheben; aber sowohl die Metallteile als auch seine Haut waren von einem dünnen Schleim befeuchtet. Mein Fuß spürte die gleiche eklige Nässe auf dem Boden nahebei und an der Mauer. Was immer es auch gewesen sein mochte, wovor mich das Mädchen gewarnt hatte, es war gekommen und gegangen, während ich mit dem Kind sprach, und wonach es gesucht hatte, war nicht Jonas gewesen.
    Die Tür, durch welche die Peiniger eindrangen, befand sich nicht weit von unserem Schlafplatz entfernt in der Mitte der Hinterwand des Vorzimmers. Sie ließ sich öffnen durch ein wirksames Wort, wie es bei solchen Altertümern fast immer der Fall ist. Ich flüsterte, und wir durchschritten die geheime Pforte, die wir nicht wieder schlossen; der arme Jonas an meiner Seite stakte wie ein Gebilde ganz aus Metall.
    Eine schmale Treppe, von den Netzen bleicher Spinnen umrankt und mit Staub bedeckt, führte in engen Windungen hinab. Dessen besann ich mich, aber was hinter der Stiege kam, daran konnte ich mich nicht erinnern. Ganz gleich, was uns erwartete, die stickige Luft schmeckte nach Freiheit; sie nur zu atmen, war eine Wonne. Trotz aller Bedrängnis hätte ich laut lachen können.
    Unerforschliche Türen gingen an den vielen Treppenabsätzen ab, aber es schien wahrscheinlich und mehr als wahrscheinlich, daß wir jemandem begegnen würden, träten wir durch sie hindurch, während sich auf der Treppe offenbar niemand aufhielt. Bevor mich irgendein Bewohner des Hauses Absolut sähe, wollte ich so weit wie möglich vom Vorzimmer entfernt sein.
    Wir waren etwa hundert Stufen hinabgestiegen, da gelangten wir an eine Tür, die mit einem wirren, scharlachroten Zeichen bemalt war, das mir vorkam wie eine Hieroglyphe einer auf. Urth fremden Zunge. In diesem Augenblick vernahm ich Schritte auf der Wendeltreppe. Da sie weder Knauf noch Klinke hatte, warf ich mich gegen die Tür, die nach anfänglichem Widerstand aufflog. Jonas folgte mir; sie fiel so schnell wieder zu hinter uns, daß ein großes Getöse hätte erdröhnen müssen, aber sie machte keinen Laut.
    In der Kammer hinter der Tür war es düster, aber nach dem Eintreten wurde das Licht heller. Nachdem ich mich vergewissert hatte, daß bis auf uns niemand anwesend war, bediente ich mich dieses Lichtes, um Jonas zu untersuchen. Seine Miene war noch starr wie vorhin, als er mit dem Rücken zur Wand im Vorzimmer gesessen hatte, aber es war nicht mehr die leblose Fratze, die ich zu sehen befürchtet hatte. Es war gleichsam das Gesicht eines Schläfers kurz vor dem Erwachen, und in seine Wangen hatten Tränen feuchte Furchen gegraben.
    »Weißt du, wer ich bin?« fragte ich, und er nickte wortlos. »Jonas, ich muß, wenn ich kann, Terminus Est wiederbekommen. Ich bin getürmt wie der größte Feigling, aber jetzt habe ich Zeit zum Besinnen gehabt und weiß, daß ich umkehren und es holen muß. Mein Brief an den Archon von Thrax steckt in seiner Scheide, und ohne mein Schwert zu gehen, wäre mir sowieso unerträglich. Aber wenn du es versuchen und von diesem Ort fliehen willst, habe ich Verständnis. Du bist mir nicht verpflichtet.«
    Er schien mir nicht zuzuhören. »Ich weiß, wo wir sind«, sagte er und hob steif den Arm, um auf etwas zu deuten, das ich für einen Wandschirm gehalten hatte.
    Ich war entzückt, ihn sprechen zu hören, und fragte, größtenteils in der Hoffnung, er würde wieder sprechen: »Wo sind wir denn?«
    »Auf Urth«, antwortete er und schritt durch das Zimmer zur beweglichen Wand. Die Rückseite war

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