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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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den Hallen des Hauses Absolut vielleicht begegnen würde, für nicht so ungebildet hielt.
    Jedenfalls ließ man mich unbehelligt passieren. Ein Mann in reicher, kunstvoll gearbeiteter Kleidung trat zur Seite, um mir Platz zu machen, und mehrere liebliche Damen beäugten mich neugierig; ich spürte, wie sich Theclas Gedächtnis beim Anblick dieser Gesichter regte. Zuletzt stieß ich auf eine andere Treppe – keine schmale, heimliche Wendeltreppe wie jene, die Jonas und mich zum Spiegelgemach gebracht hatte, sondern ein breites, helles Treppenhaus.
    Ich ging ein Stück nach oben, erkundete den Korridor dort, bis ich mir sicher war, noch unterhalb des Vorzimmers zu sein, und stieg dann weiter empor, als mir über die Treppe eine junge Dame entgegeneilte.
    Unsere Blicke begegneten sich.
    Wie ich war sie sich bestimmt bewußt, daß wir uns schon einmal so angesehen hatten. In Gedanken hörte ich sie mit jener Säuselstimme wieder »liebste Schwester« sagen, und das herzförmige Gesicht dazu erschien. Es war nicht Thea, die Gefährtin von Vodalus, sondern die Frau, die ihr glich (und sich gewiß ihres Namens bediente) und der ich auf der Treppe im Azurnen Haus begegnet war – als sie, genau wie jetzt, nach unten und ich nach oben ging. Dirnen waren also ebenso wie Schausteller für das Fest, das man zu geben beabsichtigte, bestellt worden.
    Fast rein zufällig entdeckte ich das Geschoß, in dem das Vorzimmer lag. Kaum hatte ich die Treppe verlassen, stand ich beinahe an der gleichen Stelle, wo die Hastarii gestanden hatten, während ich mit Nicarete neben dem silbernen Servierwagen sprach. Hier drohte mir die größte Gefahr, also ging ich bewußt langsam. Die Wand zu meiner Rechten barg etwa ein Dutzend Türen mit geschnitzten Holzrahmen, aber eine jede war (wie ich bemerkte, als ich innehielt, um sie zu begutachten) zugenagelt und mit dem Firnis der Zeit überzogen. Zu meiner Linken befand sich als einzige Tür jene aus wurmstichiger Eiche, durch welche die Soldaten Jonas und mich geschleppt hatten. Ihr gegenüber lag der Eingang zum Vorzimmer, und daneben schloß sich eine zweite Reihe gleichfalls vernagelter Türen mit einer zweiten Treppe an ihrem Ende an. Wie es schien, beanspruchte das Vorzimmer bereits eine ganze Etage dieses Flügels des Hauses Absolut.
    Wäre jemand in Sicht gewesen, hätte ich es nicht gewagt, zu verweilen; aber da der Korridor leer war, lehnte ich mich kurz auf den letzten Pfosten des Geländers der zweiten Treppe. Während zwei Soldaten mich bewacht hatten, trug ein dritter mein Terminus Est. Es war denkbar, daß dieser dritte Mann mein Schwert über diese Treppe – wenigstens ein paar Stufen – dorthin gebracht hatte, wo solche erbeuteten Waffen verwahrt wurden, während Jonas und ich ins Vorzimmer geschafft wurden. Aber ich konnte mich an nichts erinnern; der dritte Soldat war beim Absteigen in die Grotte hinter uns gegangen, und ich hatte ihn nicht wieder gesehen. Vielleicht war er gar nicht mit heruntergekommen. In meiner Verzweiflung wandte ich mich der wurmstichigen Tür zu und zog sie auf. Sofort drang der modrige Geruch des Schachtes in den Korridor, und die grünen Gongs stimmten ihre Weise an. Draußen war die Welt in Finsternis getaucht. Bis auf das Leichenlicht der Schwämme waren die schroffen Wände unsichtbar, und nur ein kreisrunder Ausschnitt des Sternenhimmels verriet, wo der Schacht sich in den Boden senkte. Ich schloß die Tür; kaum war sie knarrend zugefallen, als ich Schritte auf der Treppe, von der ich gekommen war, vernahm. Ich konnte mich nirgends verstecken, und wäre ich zur zweiten Treppe gerannt, hätte ich sie kaum erreicht, ohne gesehen zu werden. Anstatt durch die schwere Eichentür zu verschwinden, beschloß ich, zu bleiben, wo ich war.
    Der Ankömmling war ein beleibter Mann um die Vierzig in Livree. Durch die ganze Länge des Korridors sah ich, wie er bei meinem Anblick erblaßte. Er hastete mir jedoch entgegen und begann, als ihn noch zwanzig oder dreißig Schritte von mir trennten, unter Verbeugungen zu fragen: »Was kann ich für Euch tun, Euer Ehren? Ich bin Odilo, der Aufseher hier. Euch führt, wie ich sehe, eine vertrauliche Mission von … Vater Inire hierher?«
    »Ja«, erwiderte ich. »Doch zuerst muß ich um mein Schwert bitten.«
    Ich hatte gehofft, er hätte Terminus Est gesehen und brächte es mir, aber der Ausdruck seines Gesichtes blieb leer.
    »Man führte mich vor einer Weile hierher und sagte mir, ich habe mein Schwert abzugeben,

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