Die Klaue des Schlichters
Dorcas und Jolenta und ich, wir waren alle dabei.«
Wieder Zögern. »Wir haben dich gefunden.«
»Ja, erinnerst du dich nicht mehr?«
Er schüttelte behäbig den Kopf mit dem struppigen, angegrauten schwarzen Haar. »Ich erwachte eines Morgens, und du warst da. Ich dachte nach. Bald gingst du wieder von mir.«
»Es waren andere Umstände – und wir hatten uns für einen Treffpunkt verabredet.« (Ich bekam Gewissensbisse, als mir einfiel, daß ich nicht daran gedacht hatte, dieses Versprechen einzuhalten.)
»Wir haben uns wiedergetroffen«, sagte Baldanders schwerfällig. Als er sah, daß mir diese Antwort nicht genügt, fügte er hinzu: »Für mich ist alles unwirklich hier bis auf Dr. Talos.«
»Deine Ergebenheit ist sehr lobenswert, aber du hättest bedenken sollen, daß er mich genauso bei sich wollte wie dich.« Es war mir unmöglich, auf diesen einfältigen, sanften Riesen ärgerlich zu sein.
»Wir werden hier im Süden Geld sammeln, um das Erbaute wiederaufzubauen, wenn sie vergessen haben.« »Wir sind hier im Norden. Aber richtig, euer Haus wurde zerstört, nicht wahr?«
»Niedergebrannt«, antwortete Baldanders. Fast sah ich in seinen Augen die sich spiegelnden Flammen. »Bedauere, wenn dir etwas zugestoßen ist. Ich habe die ganze Zeit nur an die Burg und meine Arbeit gedacht.«
Ich ließ ihn zurück und inspizierte die Requisiten unseres Theaters – nicht daß sie das nötig zu haben schienen oder ich in der Lage gewesen wäre, dies bis auf die offensichtlichsten Mängel überhaupt festzustellen. Es hatte sich eine Traube von Schaustellern um Jolenta gebildet, und Dr. Talos verjagte die Gaffer und hieß Jolenta ins Zelt gehen. Kurz darauf hörte ich das Klatschen seines Stockes auf Fleisch; grinsend, aber noch mißmutig, kam er wieder heraus. »Sie kann nichts dafür«, sagte ich. »Du weißt, wie sie aussieht.«
»Zu protzig. Viel zu protzig. Weißt du, was mir an dir gefällt, Severian? Du gibst Dorcas den Vorzug. Wo ist sie übrigens? Hast du sie seit deiner Rückkehr gesehen?«
»Ich warne dich, Doktor. Daß du sie mir nicht schlägst.«
»Ich würde nicht daran denken. Ich habe nur Angst, daß sie sich verirrt.«
Sein erstaunter Gesichtsausdruck überzeugte mich davon, daß es sein Ernst war. Ich erklärte: »Wir haben nur einen Moment miteinander reden können. Sie ist zum Wasserholen gegangen.«
»Ganz schön mutig von ihr«, erwiderte er und fügte ob meiner verdutzten Miene hinzu: »Sie fürchtet sich davor. Das ist dir gewiß nicht entgangen. Sie ist reinlich, aber wenn sie sich wäscht, darf das Wasser nur fingertief sein; wenn wir Brücken überqueren, hält sie sich zitternd an Jolenta fest.«
Dorcas kam nun zurück, und falls der Doktor noch etwas sagte, hörte ich es nicht. Als sie und ich uns an diesem Morgen wiederbegegnet waren, konnte keiner von uns mehr tun, als zu lächeln und den anderen mit ungläubigen Händen anzufassen. Nun kam sie zu mir, stellte die Eimer, die sie trug, ab und schien mich mit ihren Augen zu verschlingen. »Ich habe dich so sehr vermißt«, begann sie. »Ich bin so einsam gewesen ohne dich.«
Ich lachte bei dem Gedanken, daß ich vermißt wurde, und hielt den Saum meines rußschwarzen Mantels empor. »Hast du das vermißt?«
»Den Tod, meinst du. Ob ich den Tod vermißte? Nein, dich hab’ ich vermißt.« Sie ergriff meinen Mantel und zog mich daran zu der Pappelreihe, die eine Wand des grünen Zimmers bildete. »Ich hab’ dort eine Bank gefunden, wo Kräuterbeete sind. Komm und setz dich zu mir! Sie können uns für eine Weile entbehren nach so vielen Tagen, und Jolenta wird schließlich herauskommen und das Wasser sehen, das sowieso für sie bestimmt ist.«
Sobald wir die geschäftige Zeltstadt, wo Gaukler ihre Messer und Akrobaten ihre Kinder durch die Luft warfen, hinter uns gelassen hatten, umschloß uns die Stille der Gartenanlagen. Diese sind vielleicht das größte Stück Land, das zur Verschönerung gedacht und zur Zierde bepflanzt ist, ausgenommen jene Wildnis, die der Garten des Increatus ist und von uns unsichtbaren Händen gehegt wird. Überhängende Hecken wölbten sich zu einem engen Durchlaß herab. Ein Hain mit weißen, duftenden Zweigen nahm uns auf, der mich in betrüblicher Weise an die blühenden Pflaumenbäume erinnerte, durch die Jonas und ich von den Prätorianern gezerrt worden waren, obschon jene wohl zum Schmuck gedacht waren, während diese wohl um der Früchte willen gezogen wurden. Dorcas hatte einen Zweig mit
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