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Die Klaue des Schlichters

Die Klaue des Schlichters

Titel: Die Klaue des Schlichters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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einem halben Dutzend Blüten abgebrochen und steckte ihn sich ins hellblonde Haar.
    Hinter dem Obstgarten schloß sich ein Kräutergarten an, der so alt wirkte, daß er von allen bis auf die Bediensteten, die ihn pflegten, vergessen schien. In die Steinbank darin waren Häupter gemeißelt, die vom vielen Rasten fast ihre Gesichtszüge eingebüßt hatten. Des weiteren barg er Beete mit schlichten Blumen und mit duftenden Kräutern – Rosmarin, Angelika, Minze, Basilikum und Gartenraute, allesamt in einer Erde so braun wie Schokolade von den Mühen unzähliger Jahre.
    Auch ein Bach entsprang darin, woraus Dorcas gewiß ihr Wasser geschöpft hatte. Seine Quelle war wohl einmal ein Springbrunnen gewesen – nun sprudelte das Naß in eine schlichte Steinschale, strömte über den Rand und schlängelte sich in kleinen, grob gemauerten Wässerungskanälen zu den Bäumen. Wir ließen uns auf der Steinbank nieder, ich lehnte mein Schwert dagegen, und Dorcas ergriff meine Hände.
    »Ich habe Angst, Severian«, sagte sie. »Ich habe so schreckliche Träume.«
    »Seit ich fort gewesen bin?«
    »Die ganze Zeit.«
    »Als wir Seite an Seite auf dem Feld schliefen, erzähltest du mir, aus einem schönen Traum erwacht zu sein. Du sagtest, er sei sehr genau und wie echt gewesen.«
    »Wenn er schön gewesen ist, so hab’ ich’s vergessen.«
    Mir war bereits aufgefallen, daß sie das aus dem verfallenen Brunnen quellende Wasser mit den Blicken mied.
    »Jede Nacht träumte ich, durch Straßen mit Läden zu gehen. Ich bin glücklich, zumindest zufrieden. Ich habe Geld und eine lange Liste von Dingen, die ich damit kaufen will, im Kopf. Immer wieder sage ich in Gedanken diese Liste auf und überlege, in welchem Teil des Viertels ich die einzelnen Sachen in bester Qualität zum niedrigsten Preis bekommen kann.
    Aber während ich von Laden zu Laden streife, wird mir allmählich bewußt, daß mich jeder haßt und verachtet, und ich erkenne als Ursache, daß sie mich für einen unreinen Geist halten, der in den Frauenleib gefahren ist, den sie vor sich sehen. Schließlich betrete ich ein winziges Geschäft, das ein alter Mann und eine alte Frau betreiben. Sie sitzt häkelnd darin, während er ihre Waren auf dem Ladentisch für mich ausbreitet. Ich höre hinter mir das Garn rascheln, das sie verknüpft.«
    Ich fragte: »Was willst du kaufen?«
    »Kleidchen.« Dorcas hielt ihre weißen Händchen eine halbe Spanne auseinander. »Puppenkleidchen, vielleicht. Ich erinnere mich insbesondere an kleine Hemdchen aus feiner Wolle. Schließlich entscheide ich mich für eins und gebe dem alten Mann Geld. Aber es ist gar kein Geld – nur ein Klumpen Dreck.«
    Ihre Schultern bebten, und ich legte tröstend den Arm um sie.
    »Dann will ich schreien, daß sie irren, daß ich nicht das widrige Gespenst bin, für das sie mich halten. Doch ich weiß, was immer ich tue, wird als letzter Beweis dafür ausgelegt, daß sie recht haben, und die Silben ersticken mir im Halse. Am allerschlimmsten, ist, daß in diesem Moment das Knistern des Garnes aufhört.« Sie hatte wieder meine freie Hand ergriffen und drückte sie nun, als wollte sie mir ihre Worte gewaltsam einschärfen. »Ich weiß, mich kann keiner verstehen, der nicht den gleichen Traum gehabt hat, aber es ist schrecklich. Schrecklich!«
    »Vielleicht werden jetzt, da ich wieder bei dir bin, diese Träume aufhören.«
    »Und dann schlafe ich oder sinke wenigstens in eine Schwärze. Wenn ich nicht wach werde, folgt ein zweiter Traum. Ich sitze in einem Boot und werde über einen gespenstischen See gestakt …«
    »Zumindest das ist mir nicht schleierhaft«, sagte ich. »Du bist mit Agia und mir in einem solchen Boot gefahren. Es hat einem Mann namens Hildegrin gehört. Du wirst dich gewiß daran erinnern.«
    Dorcas schüttelte den Kopf. »Es ist nicht dieses Boot, sondern ein viel kleineres. Ein Greis stakt es, und ich liege zu seinen Füßen. Ich bin wach, kann mich aber nicht bewegen. Mein Arm hängt in das schwarze Wasser. Kurz vor dem Ufer falle ich aus dem Boot, aber der Greis sieht mich nicht, und während ich in die Tiefe sinke, ist mir bewußt, daß er meine Anwesenheit gar nicht bemerkt hat. Bald schwindet das Licht, und mir ist sehr kalt. Weit über mir höre ich eine Stimme, die ich liebe, meinen Namen rufen, aber ich kann mich nicht erinnern, wem die Stimme gehört.«
    »Es ist meine Stimme, die dich weckt.«
    »Vielleicht.« Die Peitschennarbe, die Dorcas im Erbärmlichen Tor empfangen hatte,

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