Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
Verleumdung am Hals.«
»Sie meinen also, ich kann nichts tun?«
»Das habe ich nicht gesagt«, entgegnete ich. »An Ihrer Stelle würde ich versuchen, auf eigene Faust herauszufinden, was hinter der Entzündung von Daniels Analschleimhaut steckt. Irgendeine Ursache muss es geben, auch wenn sich die medizinisch nicht feststellen lässt. Recherchieren Sie doch einfach mal im Umfeld Ihrer Ex – vielleicht finden Sie ja jemanden, der Ihnen einen Hinweis gibt, was Daniels Mutter mit dem Jungen immer anstellt, wenn er sonntagabends von Ihnen zurückkommt.«
Er bedankte sich für den Ratschlag, und wir beendeten das Gespräch.
Wieder waren einige Wochen vergangen, als ich erneut einen Anruf von Daniels Vater erhielt.
»Sie hatten recht, Herr Doktor!«, rief er, ohne sich lange mit einer Vorrede aufzuhalten. »Ich habe meiner ehemaligen Schwiegermutter auf den Zahn gefühlt, und schließlich hat sie ihr Gewissen erleichtert. Sie konnte es wohl auch nicht mehr mit ansehen, wie ihr Enkel von seiner eigenen Mutter gequält wird!«
»Was genau hat Ihre Ex-Schwiegermutter Ihnen denn erzählt?«, unterbrach ich seinen Redeschwall.
»Es ist unglaublich!«, antwortete er. »Meine Ex spielt sich immer als Gesundheitsapostel auf und beschimpft mich, wenn Daniel bei mir mal was zu essen bekommt, das nicht vom Bio-Bauernhof stammt. Und dabei hat sie diesen Öko-Fimmel praktisch als Waffe gegen Daniel eingesetzt – und gegen mich!«
Empört und gleichzeitig erleichtert, weil sich endlich alles aufgeklärt hatte, redete er ohne Punkt und Komma weiter. Erst allmählich konnte ich mir zusammenreimen, was er von Daniels Großmutter erfahren hatte: Immer sonntags, wenn der Junge vom Besuchswochenende bei seinem Vater zurückkam, empfing die Mutter ihn mit einer großen Karaffe voll obergärigem, naturtrübem Fruchtsaft – garantiert biologisch, dickflüssig und extrem abführend.
Daniel musste die ganze Karaffe, etwa einen Liter, vor dem Schlafengehen austrinken. Daraufhin bekam er jedes Mal in der Nacht von Sonntag auf Montag massiven Durchfall – mit der Folge, dass am nächsten Morgen seine Analschleimhaut gereizt und entsprechend gerötet war. So »präpariert«, schleppte die Mutter ihn zum nächsten Arzt – auch wenn ihr eigentlich längst klargeworden sein musste, dass kein Arzt im ganzen Land allein aufgrund einer geröteten Analschleimhaut sexuellen Missbrauch diagnostizieren würde. Anscheinend war sie regelrecht besessen von ihrem Plan, und die »Löwenmütter« bestärkten sie darin. Allerdings wussten die höchstwahrscheinlich nicht, woher die Reizung und Entzündung von Daniels Analschleimhaut tatsächlich rührte.
»Gratuliere, damit dürfte die Sache für Sie und den Jungen ausgestanden sein«, sagte ich, als Daniels Vater atemlos schwieg. »Aber ich empfehle Ihnen dringend, trotzdem noch einen Anwalt einzuschalten. Lassen Sie ihn alles gerichtsfest dokumentieren, was Sie mir eben erzählt haben, und er soll das Jugendamt informieren – nur für den Fall, dass Ihre Ex erneut auf dumme Gedanken kommen sollte.«
Er versicherte, dass er auch diesen Ratschlag ausführen werde, und dankte mir nochmals überschwenglich.
Danach habe ich nie mehr von ihm oder von Daniel gehört.
Aus diesem Fall lässt sich zweierlei lernen. Zum einen: Auch als Rechtsmediziner muss man alle Fakten, Schilderungen und Befunde kritisch hinterfragen, sonst riskiert man, von einer der Parteien instrumentalisiert zu werden. Wer sich – wie die Hamburger »Löwenmütter« – eine gute Sache auf die Fahne geschrieben hat, verfolgt nicht zwangsläufig auch wirklich lautere Absichten. In diesem Fall betrieben die »Löwenmütter« eine regelrechte Hetzjagd gegen den Vater. Sie waren unkritisch gegenüber den Schilderungen von Daniels Mutter, überschätzten sich selbst und verhielten sich damit unprofessionell. Auch wenn sie dem Kind vermutlich helfen wollten, fügten sie ihm letztlich Schaden zu.
Zum andern: Damit sexueller Missbrauch eines Kindes diagnostiziert werden kann, muss mindestens eine der drei folgenden Bedingungen erfüllt sein. Erstens: Es müssen Verletzungen im Anal- oder Genitalbereich des Kindes vorliegen, die sich nicht mit einem Unfallgeschehen oder mit vorsätzlicher Manipulation zur Vortäuschung eines Missbrauchs erklären lassen. Zweitens: Ein Spermanachweis oder (bei geschlechtsreifen Mädchen) eine Schwangerschaft belegen sexuelle Handlungen beziehungsweise Geschlechtsverkehr und damit bei
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