Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
Zweifel an der Darstellung des vermeintlichen Opfers auf.
Niemand hatte die Tat beobachtet, niemand hatte die junge Frau um Hilfe schreien hören. Ein rechtsmedizinisches Gutachten wurde in Auftrag gegeben, und der Sachverständige kam zu dem Schluss, dass die Schülerin sich die Verletzungen selbst zugefügt hatte. Auch hier waren die Wunden nur oberflächlich. Die Linien des Hakenkreuzes bestanden überdies aus zahlreichen winzigen Einzelverletzungen, die parallel zueinander verliefen. So wie die junge Frau die Tat geschildert hatte, wären jedoch durchlaufende und erheblich tiefere Schnittwunden zu erwarten gewesen – ähnlich wie bei dem Hakenkreuz, das Lt. Aldo Raine (Brad Pitt) in Quentin Tarantinos Film Inglourious Basterds seinem Widersacher Hans Landa (Christoph Waltz) in die Stirn schneidet.
Die Ermittler fuhren zu der Schülerin nach Hause, um sie mit dem Ergebnis des Gutachtens zu konfrontieren. Doch die junge Frau, ihre Schwester und ihre Eltern hatten bereits das Weite gesucht.
Die Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren wegen Vortäuschens einer Straftat ein. Allem Anschein nach hatte die junge Frau aus einer seelischen Notlage heraus die ganze Geschichte erfunden. Sie wollte die Zuwendung ihrer Umgebung erzwingen – und setzte darauf, dass Opfer rechtsradikaler Gewalt hierzulande mit maximalem Mitgefühl rechnen können.
Unter Fachleuten allerdings werden derlei mutmaßliche Nazi-Greueltaten skeptischer gesehen. Gerade in den östlichen Bundesländern bekommen rechtsmedizinische Sachverständige immer wieder angebliche Opfer mit Hakenkreuz-Ritzungen vorgeführt. Meist stellt der örtliche Rechtsmediziner in derlei Fällen zweifelsfrei eine Selbstbeibringung fest – und der Staatsanwalt stellt das Verfahren dann möglichst geräuschlos wieder ein.
Schon 1993 war im sächsischen Bautzen ein 14-jähriges Mädchen mit einem Hakenkreuz im Gesicht auf einer Polizeistation vorstellig geworden. Angeblich hatten Skinheads ihre Wange mit einem Messer verunstaltet. Doch das Hakenkreuz war spiegelverkehrt in ihre Haut geritzt worden und wies auch darüber hinaus typische Anzeichen der Selbstbeibringung auf. Schließlich gab die Jugendliche zu, dass sie sich habe wichtigmachen wollen.
Ende 2002 ereignete sich im brandenburgischen Guben ein ähnlicher Fall. Die Tochter eines Kubaners, gleichfalls 14 Jahre alt, erschien auf der örtlichen Polizeiwache. Auf ihrer Wange prangte ebenfalls ein Hakenkreuz, das ihr angeblich Neonazis in die Haut geschnitten hatten. Auch hier glaubten die Polizeibeamten anfangs die Geschichte, doch schließlich stellte sich heraus, dass die Jugendliche sich alles nur ausgedacht und die Verletzungen selbst zugefügt hatte.
In Fällen wie diesen wird die Presse meist nicht informiert. Die Mädchen und jungen Frauen, die sich in solcher Weise selbst beschädigen, brauchen in der Regel psychotherapeutische oder psychiatrische Hilfe – doch bestimmt keine Medienaufmerksamkeit. Groß aufgemachte Presse- und Fernsehberichte könnten überdies den falschen Eindruck erwecken, dass rechtsradikale Gewalt nur eine Wahnvorstellung junger Frauen in seelischer Bedrängnis sei.
Dieser Fehlschluss drängte sich gewiss auch manchem Beobachter des Falls Rahel Mahler auf.
Aktivistin auf Abwegen
Im November 2007 beobachtete die damals 17-jährige Rahel Mahler, wie vier glatzköpfige junge Männer ein kleines Mädchen schikanierten. Jedenfalls schildert sie den Vorfall so in der Polizeiwache, wo sie Anzeige erstattet – ganze neun Tage nach der angeblichen Tat.
Der Übergriff fand nach ihrer Aussage auf einem Parkplatz in der sächsischen Kleinstadt Mittweida statt. Die vier Skinheads drangsalierten ein fünf Jahre altes russisches Aussiedlermädchen namens Natascha. Rahel Mahler ging furchtlos dazwischen und forderte die Männer auf, die Kleine loszulassen. Doch die Glatzköpfe gaben nicht etwa klein bei: Sie packten Rahel Mahler und zwangen sie zu Boden. Drei von ihnen hielten sie fest, der vierte zückte einen skalpellartigen Gegenstand und ritzte ihr ein Hakenkreuz auf die Hüfte, nachdem er ihre Haut dort entblößt hatte.
Rahel Mahler gibt an, dass sie lauthals um Hilfe geschrien habe. Von den Balkons der umliegenden Wohnhäuser hätten etliche Anwohner den Übergriff mit angesehen, doch niemand habe eingegriffen oder zumindest die Polizei alarmiert. Nachdem sie ihr das Hakenkreuz in die Hüfte geritzt hätten, wollten die Skinheads ihr als Nächstes eine Rune in die
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