Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
Unterhaltsansprüche es ging – dieser Teil der DNA musste also tatsächlich vom Vater des Kindes stammen. Woher jedoch die andere Hälfte der Mischspur stammte, war zunächst rätselhaft.
Der Mann musste ein zweites Mal zum Vaterschaftstest erscheinen. Dieses Mal wurde ihm eine Blutprobe abgenommen, und jetzt war das Ergebnis eindeutig: Er war der leibliche Vater und demnach unterhaltspflichtig.
Zu dem ersten Untersuchungstermin war der Mann also mit einem Mund voll fremder Spucke erschienen. Eine andere (männliche) Person hatte ihm hierfür ihren Speichel zur Verfügung gestellt. Wie die Speichelübertragung letztlich stattfand, konnte nicht geklärt werden. Möglicherweise war die Spucke in ein Fläschchen abgefüllt und dann weitergegeben worden, aber vielleicht hatte sie auch direkt von Mund zu Mund den Besitzer gewechselt. Der mit der Blutuntersuchung schließlich überführte Vater verweigerte dazu jedenfalls jegliche Angabe.
Das war der raffinierteste Täuschungsversuch, mit dem wir es bei Vaterschaftstests bisher zu tun hatten. Weniger fantasiebegabte Zeitgenossen schicken einen Freund vor, der ihnen ähnlich sieht oder einen gefälschten Personalausweis vorlegt. Auf solche Schwindeleien sind wir gefasst – doch bei dem Täuschungsversuch des Arztes blieb auch uns erst einmal die Spucke weg.
»Miktion nicht möglich«
Was sich der ärztliche Kollege ausgedacht hatte, um seine Unterhaltsverpflichtungen zu umgehen, war dreist – aber es geht noch unverschämter. In unserer Abteilung für Toxikologie führen wir regelmäßig sogenannte Abstinenzkontrollen durch. Dabei wird der Urin von Personen untersucht, die durch Drogenmissbrauch in irgendeiner Form mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind – sei es beim Führen eines Fahrzeugs oder durch Begehen einer Straftat im Drogenrausch. Das Gericht hat ihnen zur Auflage gemacht, nachzuweisen, dass sie »clean« sind, also keine Drogen mehr nehmen; andernfalls drohen ihnen weitere gesetzliche Sanktionen.
Es hat auch schon Fälle gegeben, in denen Probanden mittels versteckter Schlauch- und Flaschenkonstruktionen fremden Urin anstelle ihrer eigenen Ausscheidungen abgaben. Um derlei Betrugsversuchen vorzubeugen, müssen die Betreffenden – je nach Geschlecht – vor den Augen einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters unserer Abteilung für Toxikologie in einen Becher urinieren. Vom Gericht haben sie die Auflage, sich im Großraum Berlin zur Verfügung zu halten. Wann für sie die nächste Abstinenzkontrolle ansteht, erfahren sie erst, wenn ein Mitarbeiter aus unserer Abteilung bei ihnen anruft – und dann müssen sie innerhalb von 24 Stunden im Institut vorstellig werden.
Nur so kann die Urinprobe ihren Zweck erfüllen, denn Drogen beziehungsweise ihre Abbauprodukte (Metabolite) werden vom Körper innerhalb von 48 Stunden vollständig eliminiert. Danach lassen sie sich im Urin nicht mehr nachweisen. Wüssten die Betreffenden also länger im Voraus, dass eine Urinprobe ansteht, dann müssten sie nur in den letzten zwei Tagen vorher abstinent bleiben, um beim Drogentest als »clean« zu erscheinen.
Im konkreten Fall erhielt der wegen Drogenmissbrauchs im Straßenverkehr auffällig gewordene Cem Akyol an einem Mittwochmorgen den Anruf einer Mitarbeiterin aus unserer Abteilung für Toxikologie. Sie forderte den 23-jährigen Türken auf, spätestens bis zum nächsten Morgen bei uns im Institut eine Urinprobe abzugeben. Akyol war bereits den beiden vorausgegangenen Terminen ohne Entschuldigung ferngeblieben. Er wusste, dass er mit unangenehmen Konsequenzen rechnen musste, wenn er eine weitere Abstinenzkontrolle einfach ausfallen ließ.
Auch dieses Mal erschien er nicht im Institut für Rechtsmedizin. Doch stattdessen gab ein Freund von ihm am Donnerstagmorgen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, einen Konsilbrief der urologischen Abteilung eines Berliner Krankenhauses und ein ärztliches Attest bei uns ab. Aus diesen Dokumenten, die allesamt auf den Patientennamen Cem Akyol ausgestellt waren, ging hervor, dass er letzte Nacht die Notaufnahme des Krankenhauses aufgesucht hatte. Der diensthabende Urologe hatte ihm »Miktion nicht möglich« attestiert; mit anderen Worten: Aus ärztlicher Sicht sei Cem Akyol außerstande, am nächsten Tag bei uns im Institut zum Zweck der Urinuntersuchung Wasser zu lassen.
Unter dem Stichpunkt »Anamnese« hielt der Urologe in seinem Bericht fest: »Gestern Abend Viagra genommen. Dann fünf Stunden Sex gehabt.
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