Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
Minderjährigen sexuellen Missbrauch. Drittens: Der Missbrauch ist durch Fotos oder Videos (etwa auf einschlägigen Kinderporno-Seiten im Internet) dokumentiert.
Die selbsternannten Hamburger Kinderschänder-Jäger sind übrigens nie mehr bei mir im Institut für Rechtsmedizin vorstellig geworden – weder die »Löwenmutter« mit der Glatze noch die mit dem Bürstenhaarschnitt. Und ich kann auch nicht behaupten, dass ich sie vermisst hätte.
Selbstverletzung
In der rechtsmedizinischen Praxis haben wir es häufig mit Personen zu tun, die sich selbst Verletzungen zugefügt haben. Viele von ihnen sind Fälle für den Psychiater; bei Borderline-Patienten beispielsweise gehört Selbstverletzung zum Krankheitsbild. Auch Personen mit Extrem-Piercings oder Ganzkörpertätowierung sind normalerweise kein Fall für die Rechtsmedizin: Selbstverletzung aus ästhetischen oder rituellen Gründen ist schließlich nicht strafbar, auch wenn die Grenze zur Selbstgefährdung in manchen Fällen überschritten wird. Ins Visier von Polizei und Justiz geraten Personen mit selbst beigebrachten Verletzungen meist nur dann, wenn sie vortäuschen, Opfer einer Straftat geworden zu sein.
Psychisch gesunde Personen, die sich selbst Schnitt- oder Stichverletzungen zufügen, sich selbst anzünden oder vergiften und anschließend als Verbrechensopfer ausgeben, gehören in der Rechtsmedizin zum Alltag. Dabei ist das Vortäuschen einer Straftat keineswegs ein Bagatelldelikt. Nach § 145 d des Strafgesetzbuchs wird »mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer wider besseres Wissen einer Behörde vortäuscht, dass eine rechtswidrige Tat begangen worden sei«; in schweren Fällen sind sogar Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren möglich.
In bestimmten Lebenssituationen greifen Menschen seit alters her zum Mittel der Selbstverletzung. Das gilt beispielsweise für die Selbstverstümmelung von Soldaten im Krieg. In Haftanstalten ist es fast an der Tagesordnung, dass Häftlinge ihre Gesundheit und körperliche Unversehrtheit gezielt beeinträchtigen, um in den Genuss von Hafterleichterung zu kommen. Und die sogenannte Gliedertaxe, mit der Invaliditätsgrade definiert werden, hat schon manchen Zeitgenossen dazu verleitet, sich selbst eine Zehe oder einen Finger abzuhacken, um Entschädigungsleistungen von seiner Unfallversicherung zu erhalten. Zu den kriminalistischen Klassikern zählt auch der Ladenbesitzer oder Kassierer, der vortäuscht, Opfer eines Überfalls geworden zu sein. Die Verletzungen, die den brutalen Raub beglaubigen sollen, hat er sich selbst beigebracht – und den fehlenden Kasseninhalt in die eigene Tasche gesteckt.
Doch es ist keineswegs immer die Gier nach Materiellem, die zum Vortäuschen von Straftaten verleitet. Häufig bringen sich Menschen in seelischen Krisen oder zwischenmenschlichen Konfliktlagen Verletzungen bei, um die vermeintliche Gewalttat einem Dritten in die Schuhe zu schieben. Das kann eine Person aus dem nahen Umfeld oder auch ein gänzlich Fremder sein. Hintergrund ist dabei meist weniger die Absicht, Dritte gezielt eines Verbrechens zu bezichtigen, als der Wunsch nach Aufmerksamkeit für die eigene Person.
Beispielsweise erscheint eine Frau auf einer Polizeiwache und erstattet Anzeige gegen ihren Ehemann oder Lebensgefährten, weil der mit einem Messer auf sie losgegangen sei. Entsprechende Stich- oder Schnittverletzungen scheinen ihre Aussage zu untermauern. Doch die rechtsmedizinische Untersuchung bringt dann manchmal etwas ganz anderes ans Licht, nämlich dass sich die Frau diese Verletzungen selbst zugefügt hat. Die Gewalterfahrung in ihrer Beziehung mag real sein; aber wenn der Beweis gefälscht ist, der den aggressiven Partner überführen sollte, dann machen die Betreffenden stattdessen sich selbst strafbar.
Selbstverletzungen werden bei Frauen zwei- bis dreimal häufiger beobachtet als bei Männern. Wenn Frauen sich selbst verletzen, steht das oftmals damit in Zusammenhang, dass sie in ihrer Kindheit sexuelle Gewalt erleben mussten. Eine Studie des Rechtsmedizinischen Instituts der Universitätsklinik Hamburg hat gezeigt, dass weibliche Opfer sexueller Gewalt erheblich häufiger ältere Spuren von Selbstverletzung aufweisen als Frauen, die solche Erfahrungen nicht gemacht haben.
Bei den Verletzungen, die Menschen sich selbst zufügen, handelt es sich in der Regel um Schnittwunden. In den meisten Fällen sind es auch die gleichen Körperregionen, die auf diese Weise
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