Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
Laue leitet. Mittlerweile liegt auch das Ergebnis der Blutuntersuchung vor.
»Die Blut- und Urinproben sind negativ«, eröffne ich ihm. »Der Mann hat in der Nacht weder K.-o.-Tropfen noch sonst irgendetwas Giftiges zu sich genommen. Nach den von mir erhobenen Befunden ist die angebliche Straftat von A bis Z vorgetäuscht.«
Ich erläutere Hüther, dass die Schnittverletzungen oberflächlich sind und sich durchweg an gut erreichbaren Körperstellen befinden. »Es handelt sich ohne Zweifel um selbst beigebrachte Verletzungen«, erkläre ich. »Der Mann hatte niemals eine Drahtschlinge um den Hals, und er hat auch ganz bestimmt nicht mit bloßen Fäusten gegen eine Gruppe von Ninjas gekämpft.«
Oberkommissar Hüther gibt ein leicht genervt klingendes Schnaufen von sich.
»Die Blutspuren in seiner Wohnung passen auch nicht zu dem angeblichen Überfall«, sagt er. »Wir haben keinen Tropfen Blut von dem Mann gefunden, dem Laue ein Messer in den Bauch gerammt haben will. Auch seine eigenen vermeintlichen Kampfverletzungen haben nirgendwo Tropf- und Spritzspuren hinterlassen, wie sie eigentlich zwingend zu erwarten waren. Stattdessen haben wir ziemlich seltsame Blutmuster an den Wänden gefunden. Warten Sie mal, ich maile Ihnen die Bilder schnell rüber.«
Während wir uns weiter über den Fall Laue im Speziellen und inszenierte Tatorte im Allgemeinen austauschen, trifft Kommissar Hüthers E-Mail in meinem Mail-Account ein, und ich klicke die angehängten Bilddateien auf.
»Wissen Sie was?«, entfährt es mir. »Die Blutspuren an den Wänden entsprechen in Form und Größe genau den Wunden an Laues Armen!«
»Ach so?«, antwortet der Kriminalbeamte erstaunt. »Jetzt verstehe ich, was es mit diesen Mustern auf sich hat. Laue hat die Verletzungen, die er sich selbst beigebracht hat, quasi als Stempel verwendet, um die Wände des angeblichen Tatorts mit Blutspuren zu dekorieren.«
»Nicht besonders erfindungsreich«, gebe ich zurück. »Apropos: Was hat es eigentlich mit Laues Erfindung auf sich, hinter der das Rollkommando angeblich her war?«
»Die existiert wohl auch nur in seiner Fantasie«, antwortet Hüther. »Das Notebook, das ihm die Räuber angeblich entwendet haben, hat Laue selbst letzte Woche im Pfandhaus versetzt. Wir haben den Pfandschein in seiner Wohnung gefunden.«
»Also hat er sich die ganze Story ausgedacht, weil er in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt?«, frage ich.
»Sieht ganz so aus«, bestätigt Markus Hüther. »Wahrscheinlich hat er darauf spekuliert, dass ihm seine Versicherung einen kräftigen Aufschlag bezahlt, wenn er behauptet, dass auf seinem Laptop wertvolle Informationen gespeichert waren. Stattdessen hat er jetzt zusätzlich zu seinen Schulden auch noch eine Anzeige wegen Vortäuschung einer Straftat am Hals.«
Wir verabschieden uns, und monatelang höre ich nichts mehr von diesem Fall. Doch eines Tages wird Knut Laue erneut zu uns ins Institut für Rechtsmedizin gebracht.
Diesmal weist sein Hals tatsächlich eine Strangulationsmarke auf. Die von mir durchgeführte Obduktion ergibt, dass er sich auch diese letzte, tödliche Verletzung selbst beigebracht hat. Hinweise auf ein Fremdverschulden gibt es wiederum nicht.
Während die Ermittlungen gegen ihn wegen des vorgetäuschten Raubüberfalls noch andauerten, hatte sich Knut Laue in seiner Wohnung mit einem Strick das Leben genommen.
So weit die Füße tragen
Zusammengesunken sitzt Herta Sommer in ihrem Rollstuhl. Die ältere Dame macht einen bemitleidenswerten Eindruck. Die Beine kann sie augenscheinlich nicht bewegen. Ihr Gesichtsausdruck ist leidend. Ihr Schwager hat sie vom Parkplatz zu uns ins rechtsmedizinische Institut geschoben.
Die kurze Strecke vom Wartezimmer in den Untersuchungsraum legt sie allein zurück, doch dabei stellt sie sich merkwürdig unbeholfen an. Ihren Rollstuhl bewegt sie nicht mit den Führungsschienen an den Rädern, sondern direkt an den Gummireifen voran.
Herta Sommer ist 66 Jahre alt. Vor rund zehn Jahren wurde sie wegen Betrugs zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Doch aufgrund einer Brustkrebserkrankung und zahlreicher Folgebeschwerden infolge der Chemotherapie wurde ihr bisher immer wieder Haftaufschub gewährt.
Nun hat uns die Staatsanwaltschaft Berlin beauftragt, ihre Haftfähigkeit zu prüfen.
Die deutsche Strafprozessordnung regelt in § 455, dass eine Freiheitsstrafe aufzuschieben ist, wenn der Verurteilte »in Geisteskrankheit verfällt«, bei »Lebensgefahr
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