Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
Wange schneiden. Aber nach ihrer Aussage leistete Rahel Mahler so heftige Gegenwehr, dass die Rechtsradikalen schließlich von ihr abließen.
Die zuständige Staatsanwaltschaft in Chemnitz schenkt der jungen Frau nicht einfach Glauben, sondern lässt ihre Angaben überprüfen – allerdings nur oberflächlich. Eine Polizeibeamtin befragt in Gegenwart einer Psychologin die kleine Natascha – und das Mädchen bestätigt alle Angaben. Außerdem holen die Ermittler ein rechtsmedizinisches Gutachten ein. Der Gutachter kommt zu dem Schluss, dass Fremdverschulden nicht auszuschließen sei.
Die Verantwortlichen in der Region stehen daraufhin unter gewaltigem Druck. Erst im April desselben Jahres war eine Neonazi-Gruppe verboten worden, die das Städtchen Mittweida monatelang terrorisiert hatte. Wenn sie nun nicht rasch und entschlossen reagieren, befürchten die Verantwortlichen, wird die Region ihr Image als Neonazi-Hochburg nie mehr los.
So erklärt sich wohl auch, dass ein Polizeisprecher das rechtsmedizinische Gutachten öffentlich überinterpretiert: Der Sachverständige habe es für »ausgeschlossen« erklärt, verkündet er, dass sich das vermeintliche Opfer selbst das Hakenkreuz in die Haut geritzt habe. Die Öffentlichkeit reagiert wiederum aufgeschreckt und empört.
Rahel Mahler beschreibt die gewalttätigen Glatzköpfe so genau, dass die Polizei auch in diesem Fall mit Phantombildern an die Öffentlichkeit gehen kann. Doch alle Aufrufe verhallen ungehört: Niemand hat den Vorfall mit angesehen. Monatelang wird so fieberhaft wie vergeblich nach dem braunen Quartett gesucht. Ein örtlich bekannter Neonazi, den Rahel Mahler als möglichen Täter identifiziert hat, muss mangels Beweisen wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Nicht einmal eine Belohnung von 5000 Euro hilft dem Gedächtnis potenzieller Zeugen auf die Sprünge.
Schließlich werden die Ermittler doch noch misstrauisch. Sie befragen die Eltern von Natascha und erfahren das Unglaubliche: Zum angeblichen Tatzeitpunkt war die Familie mitsamt der kleinen Tochter außerhalb der Stadt. Natascha hatte bei der ersten Befragung auf Suggestivfragen so geantwortet, wie es die Polizeibeamtin erwartet hatte – und die Psychologin anscheinend auch.
»Wir haben keine Zeugen, keine Täter und keine Spuren«, zieht der Sprecher der Staatsanwaltschaft im März 2008 ein ernüchterndes Fazit. Dafür haben sie mittlerweile zwei weitere rechtsmedizinische Gutachten. Beide kommen unabhängig voneinander zu dem Schluss, dass sich Rahel Mahler das Hakenkreuz selbst in die Hüfte geritzt hat. Jedenfalls weisen die Verletzungen der jungen Frau die für Selbstbeibringung typischen Merkmale auf.
Doch auch Rahel Mahler ist mittlerweile im Besitz eines bedeutsamen neuen Schriftstücks: Im Februar 2008 hat sie den »Ehrenpreis für Zivilcourage« erhalten, verliehen vom »Bündnis für Demokratie und Toleranz«, einer von der Bundesregierung ins Leben gerufenen Initiative. Die junge Frau hat die Auszeichnung stolz entgegengenommen und sich freudestrahlend von den Fotografen ablichten lassen, wie ihr Bild in zahlreichen, auch überregionalen Tageszeitungen zeigt.
Den Verdacht, dass sie die ganze Story erfunden und sich die Verletzungen selbst zugefügt habe, weist sie vehement zurück. Doch die Staatsanwaltschaft leitet ein Verfahren wegen Vortäuschens einer Straftat gegen sie ein.
Im November 2008 wird Rahel Mahler schuldig gesprochen. Das zuständige Amtsgericht hält es für erwiesen, dass der Skinhead-Überfall ein Produkt ihrer Fantasie ist und sie sich das Hakenkreuz selbst in die Hüfte geritzt hat. Doch die junge Frau findet milde Richter und hat überdies noch Glück: Weil sie zur Tatzeit erst 17 war, wird sie lediglich zur Ableistung von 40 Arbeitsstunden verurteilt.
Abgestempelt
Um die Mittagsstunde taumelt ein Mann in eine Polizeidienststelle im Hamburger Stadtteil St. Georg. Er ist etwa Mitte vierzig, von kräftiger Statur und hat diverse blutende Fleischwunden an beiden Armen. Der Mann weist sich als Knut Laue aus, wohnhaft in einem Apartmentblock in der Nähe des Polizeireviers.
»Sie müssen die Kerle finden!«, stammelt er. »Die hätten mich fast umgebracht! Die haben meine Erfindung gestohlen!«
Es dauert einige Zeit, bis sich der Mann so weit beruhigt hat, dass er sich verständlich ausdrücken kann. Dann erzählt er den diensthabenden Polizeibeamten eine haarsträubende Geschichte.
Letzte Nacht sei er plötzlich aufgewacht und habe im
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