Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
Evakuierung vorbereiten.«
Eine Viertelstunde nach Mitternacht treffen zwei Beamte vom Landeskriminalamt ein. Sie sind auf das Aufspüren und Entschärfen sogenannter USBVs spezialisiert. Die Abkürzung USBV steht für Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen, also selbstgebastelte Bomben.
Mit Detektoren und einem Sprengstoff-Spürhund überprüfen die Entschärfer die Wohnung und insbesondere das Bett mit der bizarr vermummten Leiche darauf.
Draußen im Haus, in den benachbarten Gebäuden und unten auf der Straße herrscht währenddessen gewaltige Aufregung. Trotz der fortgeschrittenen Nachtstunde sind zahlreiche Anwohner auf den Beinen. Die Ankündigung der Polizeibeamten, dass die Häuser wegen Bombenalarms möglicherweise geräumt werden müssten, hat die Leute aufgeschreckt. Ein halbes Dutzend Polizeifahrzeuge blockiert die Straße. Hinter den Absperrbändern haben sich Menschentrauben gebildet. Die Einsatzkräfte der Berufsfeuerwehr halten sich bereit, um die Polizei bei der Evakuierung der Hausbewohner zu unterstützen.
Um kurz nach halb eins geben die Spezialisten vom LKA Entwarnung. Sie haben in Sven Haberts Wohnung weder tickende Zeitbomben noch Sprengfallen gefunden, die bei versehentlicher Berührung in die Luft gehen könnten. Weisungsgemäß haben die Sprengstoffexperten den Plastiksack weder aufgeschnitten noch von der Leiche entfernt, um die Auffindesituation nicht zu verfälschen. Doch mit Hilfe ihrer Messgeräte konnten sie zweifelsfrei feststellen, dass der Plastiksack keine gefährlichen Vorrichtungen enthält.
Abgesehen von einem halbvollen kleinen Kanister mit Ameisensäure konnten in der Wohnung auch keine Substanzen oder Werkzeuge gefunden werden, die zur Herstellung von USBVs geeignet wären.
Bartusch und seine Kollegin atmen auf. Der Oberkommissar ordnet an, die Evakuierung abzusagen. Die Straßensperre wird aufgehoben, die Einsatzkräfte von Polizei und Berufsfeuerwehr werden entlassen.
»Also los«, sagt Jörg Bartusch zu Linda Pauly. »Zweiter Anlauf.«
Um 0:40 Uhr sind die beiden Kriminalbeamten erneut im Schlafzimmer von Sven Habert. Auch auf den erfahrenen Ermittler Jörg Bartusch wirkt der Anblick des Toten in der unförmigen Plastikvermummung beklemmend.
Die Spezialisten vom LKA konnten mit ihren Detektoren nicht feststellen, worum es sich bei den ballonartigen Gegenständen im Kopfbereich der Leiche handelt. »Möglicherweise sind es Tüten, die Habert mit Giftgas gefüllt hat, um sich auf diese Weise zu töten«, überlegt Linda Pauly.
»Falls es sich bei dem Toten wirklich um Sven Habert handelt«, gibt Bartusch zurück. »Ruf die Rechtsmedizin an«, fordert er seine Kollegin auf. »Sie sollen ein Transportkommando schicken, das die Leiche mitsamt dem Plastiksack und allem, was sich darin befindet, abholt. Die endgültige Identifizierung des Toten muss bis zur Obduktion warten.«
Linda Pauly ruft bei uns im Institut für Rechtsmedizin an. Währenddessen untersucht Bartusch die Leiche, soweit das möglich ist, ohne den Plastiksack zu öffnen oder zu entfernen.
Der Tote ist mit einer blau karierten Schlafhose und einem blauen Nachtshirt bekleidet, von dem ein schmaler Streifen unter der Plastiktüte hervorsieht. An den Füßen trägt er braune Hausschuhe, unter der Schlafhose Boxershorts.
Bartusch schiebt das Nachtshirt und den Plastiksack im Rückenbereich ein wenig nach oben. Auch die Hosenbeine der Schlafhose schiebt er über Fußknöcheln und Waden hoch, ohne irgendwelche Verletzungen zu entdecken.
»Keine Hinweise auf ein Kampfgeschehen«, sagt er zu Linda Pauly, die einen Schreibblock gezückt hat und sich Notizen macht. »Die Leichenstarre ist ausgeprägt. Leichenflecken an Rücken und Beinen sind lagegerecht und intensiv hellrot gefärbt. Keine Fäulniserscheinungen – vermutlich, weil das Schlafzimmerfenster auf Kipp steht und es hier im Raum nur drei bis vier Grad sind.«
Sie sehen sich weiter im Schlafzimmer um. In dem Durcheinander aus Büchern, Zeitschriften und verstreuten Wäschestücken ist das Schriftstück bis dahin niemandem aufgefallen. Es liegt auf dem kleinen Glastisch neben dem Bett. Offenbar ist es mit dem Computer verfasst und mit einem Tintenstrahldrucker ausgedruckt worden.
Mein Letzter Wille
Keine Gäste
Niemanden benachrichtigen
Keine Trauerfeier
Kein Pfarrer, kein Redner
Urnenbestattung
Sven Habert
Der karge Abschiedsbrief ist mit blauem Kugelschreiber unterschrieben und auf den 31. Januar datiert.
»Glaubst du, der
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