Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
Kopfschmerzen. Er führt es auf den schockierenden Anblick zurück. Außerdem ist die Luft in der Wohnung unglaublich stickig. Es stinkt nach Erbrochenem und Kot.
Sie bringen Albert Sandkühler nach draußen und schließen die Wohnungstür. Bertold zieht sein Handy aus der Tasche und verständigt die Mordkommission.
Kriminalhauptkommissarin Sandra Möller und ihr Kollege Felix Glatter von der diensthabenden Mordbereitschaft übernehmen die Ermittlungen. Noch auf dem Weg zur Otto-Hensel-Straße ruft Glatter bei uns im Institut an und bittet, einen Rechtsmediziner zum Tatort zu schicken.
Mein Kollege Dr. Lilienthal macht sich auf den Weg nach Biesdorf im Osten Berlins.
Vor dem Haus in der Otto-Hensel-Straße ist mittlerweile ein halbkreisförmiges Areal durch Einsatzwagen und Flatterband abgesperrt. Unmengen Schaulustiger drängen sich auf den Balkonen und hinter den Absperrungen.
Polizeioberkommissar Bertold weist die Kripobeamten kurz in den Sachverhalt ein.
»Der leibliche Vater der vier toten Kinder wird da drüben versorgt«, sagt er abschließend und deutet zum Notarztwagen. »Nach seiner Aussage wollte Jeanette ihren Liebhaber wieder verlassen, um zu ihm zurückzukehren.« Er fährt sich mit der Hand über das Gesicht. »Wenn Sie mich fragen, Kollegen – für mich sieht das da drinnen nach einem erweiterten Suizid aus.«
Dieser Verdacht hat sich auch Kriminalhauptkommissarin Möller gleich aufgedrängt, als sie über Funk eine erste grobe Beschreibung der makabren Auffindesituation in der Wohnung erhielten. Von einem erweiterten Suizid spricht man, wenn eine Person, die für sich den Entschluss gefasst hat, aus dem Leben zu scheiden, eine oder mehrere ihr nahestehende Menschen (meist den Lebenspartner und die Kinder) unmittelbar vor dem eigenen Suizid ebenfalls tötet. Aber aus Erfahrung weiß Hauptkommissarin Möller, dass der erste Anschein nicht selten trügt. So bedankt sie sich nur bei Polizeioberkommissar Bertold für seine Einschätzung.
Sandra Möller, ihr Kollege Felix Glatter und Dr. Lilienthal ziehen sich im Flur vor der Wohnungstür die weißen Schutzanzüge der Spurensicherung über und machen sich dann an die Untersuchung des Tatorts.
Die Rollläden vor den Fenstern der Vierzimmerwohnung sind immer noch heruntergelassen, sämtliche Deckenlichter eingeschaltet, als sie die Wohnung betreten. Die beiden Ermittler und der Rechtsmediziner tragen zusätzlich zu den Schutzanzügen Spezialhandschuhe und Plastiküberzüge an den Schuhen, um die Spurenlage nicht zu verfälschen. Solange das KTU-Team nicht sämtliche Spuren gesichert hat, dürfen auch die Fenster nicht geöffnet werden.
»Lassen Sie aber die Wohnungstür weit offen«, sagt Dr. Lilienthal zu den beiden Schutzpolizisten, die vor der Tür Wache halten.
Von dem schmalen Flur gehen rechts und links jeweils zwei Zimmer ab. Zwei weitere Türen am Ende des Flurs führen in die Küche und ins Bad.
Im ersten Zimmer rechts stehen zwei Kinderbetten. Auf dem Teppichboden mitten im Zimmer liegt der Leichnam eines etwa vierjährigen Kindes. Es liegt auf dem Rücken, die Beine in Froschstellung grotesk an den Bauch hochgezogen. Auf einem der Betten liegt ein zweites Kind, vielleicht fünf Jahre alt, in der gleichen Haltung und mit einem Schaumpilz vor dem Mund. Beide Kinder sind nur mit Unterwäsche bekleidet und im Gesäßbereich mit Kot verschmiert.
»Sie hatten offensichtlich Bauchkrämpfe«, sagt Dr. Lilienthal, »und Durchfall.«
Die Hauptkommissarin begnügt sich damit, zu nicken. Es ist unerträglich heiß in der Wohnung. Sandra Möller hat das Gefühl, dass sie sich gleich erbrechen muss.
Vom Badezimmer her hören sie im Minutentakt die Gastherme anspringen.
»Warum hatten die eigentlich die Heizung laufen?«, wundert sich Kommissar Glatter. »Bei den Außentemperaturen?«
Sandra Möller zuckt mit den Schultern. »Vielleicht haben sie gefroren?« Sie deutet auf eine Arzneiflasche mit der Aufschrift Nuofren, die auf der Fensterbank steht. Daneben liegt ein offenbar benutzter Plastiklöffel. »Was ist das für ein Zeug?«, fragt sie Dr. Lilienthal.
»Ein Schmerzmittel für Kinder«, antwortet der Rechtsmediziner. »Wird gerne gegen Bauch- und Kopfschmerzen bei fieberhaften Infekten gegeben.«
Das nächste Zimmer auf der rechten Seite ist bis auf ein Babybett leer. Darin liegt ein Säugling, vielleicht ein Jahr alt. Auch das Baby liegt auf dem Rücken, die Beine an den Bauch gezogen. Sein Köpfchen ist zur Seite gedreht. Das
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