Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
schicken einen Einsatzwagen zur Wohnung von Frau Murke und Herrn Hollbruck. Aber Sie halten sich dort zurück, verstanden?«
Albert Sandkühler nickt und bedankt sich überschwenglich bei Altorff. »Ihre Kollegen sollen sich beeilen!«, ruft er und ist im nächsten Moment aus der Tür.
Die Otto-Hensel-Straße in Berlin-Biesdorf ist von heruntergekommenen Mietshäusern aus den 1930er Jahren gesäumt. Hier wohnen hauptsächlich Senioren mit schmaler Rente und Arbeitslose, die Hartz-IV-Unterstützung beziehen.
Die Streifenbeamten, die per Funkruf zur Wohnung von Jeanette Murke beordert wurden, finden alles so vor, wie von Albert Sandkühler geschildert. Auf ihr Klingeln öffnet niemand. In der Erdgeschosswohnung bleibt es vollkommen still. Vergeblich versuchen die beiden Polizisten, durch eines der Fenster einen Blick ins Innere zu werfen. Die Rollläden sind allesamt heruntergelassen.
Sie versuchen es bei den Nachbarwohnungen. »Wer soll da unten wohnen?«, fragt eine Frau, die im ersten Stock nach minutenlangem Klingeln an die Tür kommt. »Murke? Nie gehört. Ich dachte, die Wohnung würde leer stehen. Seit Monaten«, fügt sie hinzu.
Die Streifenbeamten kehren zu ihrem Einsatzfahrzeug zurück. Sie schildern Polizeiobermeister Altorff die Gegebenheiten vor Ort und empfehlen, die Wohnungstür von der Feuerwehr öffnen zu lassen.
Zehn Minuten später treffen auch noch die von Altorff hinzugerufenen Polizeioberkommissare Helge Bertold und Markus Schulze vor dem Mietshaus in der Otto-Hensel-Straße ein. Sie gehören zum kriminalpolizeilichen Dauerdienst und sind in dieser Funktion für erste kriminalpolizeiliche Ermittlungen bei Delikten wie Einbruch oder Diebstahl, aber auch für Leichensachen zuständig.
Es ist ein drückend heißer Hochsommertag. Auf den Balkons der umliegenden Häuser sitzen Männer in Boxershorts und Unterhemden und johlen hämische Kommentare zu den Einsatzkräften hinunter. Die Polizei ist hier nicht sonderlich beliebt.
Der Techniker von der Berufsfeuerwehr wartet bereits vor der Wohnungstür. Auch Albert Sandkühler ist längst wieder vor Ort. »So brechen Sie doch endlich die Tür auf, Mann!«, schreit er den Feuerwehrmann an, der jedoch stoisch an ihm vorbeischaut.
Polizeioberkommissar Helge Bertold ist von seinem Kollegen Altorff entsprechend vorgewarnt worden. »Halten Sie sich zurück, Herr Sandkühler!«, fordert er den erregten Familienvater auf. »Ich leite diesen Einsatz. Ohne meine ausdrückliche Genehmigung dürfen Sie die Wohnung nicht betreten. Also gehen Sie jetzt zur Seite.«
Widerstrebend macht Sandkühler Platz.
»Bitte öffnen Sie die Wohnungstür«, fordert Bertold den Techniker der Feuerwehr auf.
Bis zu diesem heißen Julitag hat Oberkommissar Bertold geglaubt, dass ihn kaum noch etwas erschüttern könnte. Mit seinen 17 Dienstjahren hat er schon unzählige Verbrechens- und Unfallopfer gesehen. Aber der Anblick, der sich ihm in der Wohnung von Jeanette Murke bietet, ist so furchtbar, dass es ihm die Sprache verschlägt.
Wortlos hasten er und sein Kollege Markus Schulze von Raum zu Raum. Hinter jeder Tür müssen sie erst einmal Licht einschalten, sämtliche Zimmer sind durch die Rollläden verdunkelt. Und jedes Mal wenn das Deckenlicht angeht, spürt Bertold den Drang, es umgehend wieder auszuschalten.
Die Wohnung ist vollkommen überheizt. Draußen sind es um die dreißig Grad, trotzdem sind in allen Zimmern die Heizungen bis zum Anschlag aufgedreht. Umso kälter fühlen sich die Körper an, die Bertold und Schulze einen nach dem anderen prüfend berühren.
»Sie sind alle tot«, sagt Bertold schließlich und schaut seinen Kollegen kopfschüttelnd an. Auch Markus Schulze steht die Erschütterung ins Gesicht geschrieben.
Auf den ersten Blick weist keines der Opfer Spuren äußerer Gewalteinwirkung auf. Keine sichtbaren Verletzungen, kein Blut. Trotzdem ist sich Bertold sicher, dass sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen sind.
»Sie dürfen hier nicht rein!«, hört er es von der Wohnungstür her rufen.
Doch da ist es schon zu spät: Albert Sandkühler hat es irgendwie geschafft, an den uniformierten Polizisten vorbei in die Wohnung vorzudringen.
»Jeannie! Wo ist sie? Und wo sind die Kinder?«, schreit er. »O mein Gott! Dieser Irre hat meine Familie umgebracht!«
»Schaff den Vater hier raus«, sagt Bertold zu seinem Kollegen. »Bevor der noch völlig durchdreht. Und bevor er noch mehr Spuren verwischt.«
Der Oberkommissar hat plötzlich
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