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Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)

Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)

Titel: Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tsokos
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siebzig Prozent Kohlenmonoxid in seinem Blut! Und aus der Aussage des Bruders geht klar hervor, dass er sich die ganze Zeit in der Wohnung aufgehalten hat.«
    »Da wird eben bei Ihnen im Labor jemand falsch gemessen haben«, gibt der Oberkommissar zurück. »Die Feuerwehr war in der Wohnung und hat alles überprüft. Nirgendwo erhöhte Kohlenmonoxid-Konzentrationen.«
    Er ist hörbar sauer wegen des vermeintlichen Fehlalarms. Aber ich kann nicht glauben, dass sich unsere Toxikologen geirrt haben. Sicherheitshalber bitte ich die Kollegen, die Messung zu wiederholen. Das Ergebnis ist genau dasselbe wie beim ersten Mal: siebzig Prozent!
    Knapp drei Stunden nach meinem Telefonat mit dem Oberkommissar greife ich wieder zum Telefon. »Herr Hauck«, sage ich, »wir arbeiten jetzt schon seit Jahren zusammen. Sie wissen, dass hier im Institut keine Dilettanten beschäftigt sind und wir unsere Arbeit gewissenhaft machen. Wenn wir bei zweimaliger Messung siebzig Prozent Kohlenmonoxid im Blut des Mannes finden, dann ist er an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung gestorben. Da beißt die Maus keinen Faden ab, und da kann mir die Feuerwehr sonst was erzählen. In der Wohnung des Bruders muss irgendwo eine Kohlenmonoxid-Quelle sein. Glauben Sie mir das jetzt einfach und schicken Sie um Himmels willen einen Spezialisten dorthin, der eine gründliche Kohlenmonoxid-Messung durchführt.«
    Mein beschwörender Tonfall scheint seine Wirkung nicht verfehlt zu haben. Jedenfalls verspricht mir Oberkommissar Hauck, sich umgehend zu informieren, wer neben der Feuerwehr solche Untersuchungen kurzfristig übernimmt, und diesen Spezialisten dann in die Wohnung der Familie Boigny in Reinickendorf zu schicken.
    Wieder vergehen mehrere Stunden, die ich in Anspannung verbringe. Wenn ein Verstorbener hellrötliche Totenflecken aufweist, die Muskulatur die typische Farbe von Räucherlachs hat und die Organe blutreich sind, dann wird jeder erfahrene Rechtsmediziner vermuten, dass der Betreffende an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung gestorben ist. Aber letztlich sind das alles unspezifische Befunde, und ihre Bewertung ist mehr oder weniger subjektiv. Anders bei der Bestimmung von Kohlenmonoxid im Herzblut. Hier gibt es keinerlei Spielraum für eine subjektive Bewertung: Laurent Boigny ist an einer tödlichen Kohlenmonoxid-Dosis gestorben – und die Quelle muss in der Wohnung seines Bruders sein.
    Endlich kommt der erlösende Anruf: Ein darauf spezialisierter Ingenieur von einem örtlichen Gasversorger hat die Werte in der gesamten Wohnung nochmals gemessen. Tatsächlich ist die Kohlenmonoxid-Konzentration in der Luft eines Raums deutlich erhöht – in der Küche, also dort, wo der junge Student geschlafen hat.
    Die in der Küche installierte Gastherme ist defekt. Da das Gas nur unvollständig verbrannte und die Abgase nicht vollständig abgeleitet wurden, reicherte sich die Raumluft in der Küche unmerklich immer mehr mit Kohlenmonoxid an.
    Offenbar hatte die Feuerwehr nur in den Wohnräumen gemessen – ein Fehler, der leicht zu weiteren tödlichen Vergiftungen hätte führen können. Gerade in der Küche hatte sich Laurent Boigny ja als Einziger jede Nacht über viele Stunden hinweg aufgehalten und sich so dem Kohlenmonoxid ausgesetzt.
    »Sie hatten also doch recht«, sagt Oberkommissar Hauck zu mir.
    Wir philosophieren noch ein paar Minuten lang über den tragischen Fall. »Da besucht der arme Kerl seinen Bruder und kommt durch eine defekte Gastherme in dessen Wohnung um«, sinniert Hauck. »Wie der Bruder sich jetzt wohl fühlen mag?«
    Aus fachlicher Sicht beschäftigt mich noch ein weiterer ungewöhnlicher Aspekt dieses Falls. »Unsere Diagnostik«, sage ich, »war auch durch die dunkle Haut des Toten erheblich eingeschränkt. Das charakteristische Hellrot oder auch Kirschrot der Leichenflecken, das uns sonst einen ersten Hinweis auf eine mögliche Kohlendioxid-Vergiftung gibt, ist bei einem dunkelhäutigen Menschen nicht zu sehen.«
    »Hätten die Klinikärzte nicht doch etwas merken können«, fragt Hauck, »wenn sie ihn genauer untersucht hätten?«
    »Gute Frage«, antworte ich. »Mit dem Hirntumor hatten die Kollegen eine plausible Erklärung für die Symptome gefunden, unter denen der Student litt; für seine Kopfschmerzen, die Abgeschlagenheit und das Schwindelgefühl und genauso für den Krampfanfall. Allerdings sind das alles Symptome, die genauso bei einer Kohlenmonoxid-Vergiftung auftreten können. Auch der epileptische Anfall könnte

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