Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
Ausdruck der Kohlenmonoxid-Intoxikation gewesen sein, die er während des Schlafens in der Küche erlitten hat.«
»Also doch ein diagnostisches Versäumnis in der Klinik?«, hakt Hauck nach.
»Nein«, antworte ich. »Auch wenn es sich bitter anhört: Ich glaube nicht, dass auch nur ein einziger Klinikarzt in Deutschland an Kohlenmonoxid denken würde, wenn er einen Patienten mit dieser Symptomatik vor sich hätte. An so etwas denken nur Rechtsmediziner.«
Familientod
An einem Montagmittag im Juli erscheint ein älterer Mann auf einer Polizeiwache in Berlin-Biesdorf. »Bitte kommen Sie sofort mit«, fordert er die wachhabenden Beamten auf. »Meine Familie ist in Lebensgefahr!«
Polizeiobermeister Jo Altorff versucht den Mann zu beruhigen.
»Sagen Sie uns doch erst einmal, wer Sie sind. Und dann schildern Sie uns, was passiert ist und warum Sie glauben, dass für Ihre Familie Lebensgefahr besteht.«
Der ältere Mann weist sich als Albert Sandkühler aus. Er ist Rentner, wohnhaft im Berliner Stadtteil Reinickendorf.
Letzten Monat habe ihn seine Lebensgefährtin verlassen, fährt Albert Sandkühler fort. Sie heiße Jeanette Murke. »Sie ist mit unseren Kindern und ihrem Liebhaber Torsten Hollbruck in eine Wohnung in der Otto-Hensel-Straße in Biesdorf gezogen. Den ganzen Vormittag über habe ich immer wieder bei Jeanette geklopft und geklingelt – aber sie macht einfach nicht auf, Herr Wachtmeister!«
Polizeiobermeister Altorff stützt die Ellbogen auf den Schaltertisch und lächelt den älteren Mann beschwichtigend an. »Schauen Sie, Herr Sandkühler, Ihre frühere Freundin ist doch bestimmt eine erwachsene Frau. Wenn sie mit einem anderen zusammenzieht, dann geht das die Polizei nichts an. Und ob Frau Murke mit Ihnen sprechen will, ist ja auch ganz allein ihre Entscheidung.«
»Aber sie hat unsere Kinder mitgenommen!«, wiederholt Albert Sandkühler. »Ich befürchte das Schlimmste! Normalerweise kommen die Kleinen alle angerannt und machen einen Höllenlärm, wenn es an der Tür klingelt. Aber da ist alles totenstill.«
Polizeiobermeister Altorff wirft seiner Kollegin Canan Bölum einen Blick zu, und sie macht ein mitfühlendes Gesicht. Möglicherweise ist dieser Albert Sandkühler nicht nur außer sich vor Eifersucht, sondern auch ein bisschen verwirrt. Schließlich ist er mit seinen 69 Jahren nicht mehr der Jüngste.
»Wie alt sind Ihre Kinder denn, Herr Sandkühler?«, fragt die Polizeimeisterin.
»Der Älteste ist fünf«, antwortet Sandkühler, wie aus der Pistole geschossen. »Marcel, unseren Jüngsten, hat Jeanette letzten Herbst zur Welt gebracht. Da war unsere Welt noch in Ordnung – dachte ich jedenfalls.«
Albert Sandkühler ballt seine Hände zu Fäusten und starrt düster vor sich hin. Den Polizeibeamten wird der ältere Mann langsam unheimlich.
»Ihre ehemalige Freundin ist wohl um einiges jünger als Sie?«, fragt Jo Altorff.
Albert Sandkühler nickt. »Jeanette war zwanzig, als wir uns kennengelernt haben – und ich war 63. Uns beiden war klar, dass das nicht einfach werden würde. Aber mehr als fünf Jahre lang ist es ja gutgegangen. Wir waren glücklich miteinander, jedenfalls meistens – bis letztes Jahr Marcel zur Welt kam.«
Kurz danach sei Jeanette zusammengebrochen, fährt er stockend fort. »Sie hat sich vergraben, eingeschlossen, oft tagelang nur geheult. Depression, haben die Ärzte gesagt. Sie war fünf Wochen in der psychiatrischen Klinik in Hellersdorf. Unsere Kinder waren die ganze Zeit bei ihr. Und in der Klinik hat sie diesen Torsten Hollbruck kennengelernt.«
Polizeiobermeister Altorff macht sich emsig Notizen.
»Herr Hollbruck ist also in der Klinik beschäftigt?«, fragt er nach. »Und vermutlich ist er eher im Alter von Frau Murke?«
Albert Sandkühler lässt seine Faust auf den Empfangstresen der Wachstube herunterkrachen. »Ja, verdammt – der Kerl ist gerade mal Anfang dreißig!«, schreit er. »Aber vor allem ist er ein gefährliches Subjekt! Er war als Patient in der Psychiatrie, verstehen Sie? Er wurde dort behandelt – weil er irgendwie durchgedreht und gewalttätig geworden war! Jeanette hat schon lange wieder genug von ihm. Sie wollte zu mir zurückkommen, das hat sie mir vorgestern erst wieder gesagt. Aber sie hatte Angst, dass Hollbruck ausflippen würde, wenn sie ihm reinen Wein einschenkt!«
Obermeister Altorff und Polizeimeisterin Canan Bölum schauen ihn nachdenklich an.
»Also gut, Herr Sandkühler«, sagt der Polizeibeamte. »Wir
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