Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
wenn die Hin- und Rückflugdaten exakt zur Tatzeit passen. Mittlerweile wissen sie außerdem, dass Bandera am Flughafen gleich nach der Landung einen Mietwagen in Empfang genommen hat. Diesen grauen Ford Focus, den er ebenfalls Wochen vorher per Internet gebucht hatte, lieferte er tags darauf wieder bei der Flughafenfiliale des Kfz-Verleihers in Berlin-Schönefeld ab, bevor er den Flieger zurück nach Madrid bestieg. Doch die Ermittler müssen ihm nachweisen, dass er tatsächlich in den Wilmersdorfer Schallerweg gefahren ist, um dort Christoph Kästner aufzulauern und niederzustechen. Und dafür brauchen sie mindestens einen Zeugen, der Bandera in der Tatnacht oder kurz davor in der näheren Umgebung gesehen hat.
Beharrlich klappern die Ermittler Wohnungen und Läden in der Umgebung des Tatorts ab, und schließlich werden sie fündig. Ein Kassierer in einem Supermarkt an der nahe gelegenen Häberlinstraße erkennt den Spanier mit der Stirnglatze anhand des Computerfotos wieder. »Der Mann war am Freitag so um 19 Uhr herum hier«, gibt er zu Protokoll. »Ich erinnere mich genau an ihn. Er hat eine Tüte Chips, Getränke und noch ein paar Kleinigkeiten eingekauft. Und außerdem so ein Messer.« Der Verkäufer hält die flachen Hände nebeneinander, um die gewaltige Länge der Klinge anzudeuten.
Bei der Durchsuchung von Christoph Kästners Wohnung wurden auch Quittungen eines Internet-Cafés namens Virtual Village sichergestellt, das sich gleichfalls in Fußnähe zum Tatort befindet. Die Ermittler maßen diesen Belegen zunächst keine Bedeutung bei. Doch bei der weiteren Untersuchung des Notebooks stoßen die KTU-Spezialisten auf eine Textdatei mit kryptischem Inhalt – höchstwahrscheinlich die Zugangsdaten für einen Webmail-Account.
Nun brauchen die beiden Kommissare nur noch zwei und zwei zusammenzuzählen: Elsa Borger und Christoph Kästner hatten sich offenbar weiterhin Mails geschrieben, seit einem halben Jahr jedoch über anonyme Web-Accounts. Um keine Spuren auf ihren heimischen Computern zu hinterlassen, hatten sie diese Mails nur in öffentlichen Internet-Cafés gesendet und abgerufen.
Haack und Gartner fahren zum Internet-Café Virtual Village und legen ein Foto von Christoph Kästner vor.
Kevin Siebert, der Betreiber des Lokals, erkennt den schlaksigen, jungenhaft wirkenden Mann mit dem offenen Lächeln sofort wieder.
»Ein Stammkunde«, sagt er. »Kommt fast jeden Tag ein- oder zweimal und schreibt mindestens eine Stunde lang Mails. Dabei wirkt er immer total entspannt und gut drauf.« In den letzten zwei Tagen, fährt Kevin Siebert fort, sei der Kunde allerdings nicht hier gewesen. »Aber Freitagnacht so von Mitternacht bis eins hat er da drüben am PC gesessen. Und als er ging, sah er so richtig happy aus. Hatte wohl gerade per Mail wieder eine gute Nachricht bekommen.«
Haack und Gartner wechseln einen Blick. Allem Anschein nach kam Christoph Kästner direkt von seinem letzten digitalen Rendezvous mit Elsa Borger, als Bandera ihm vor seiner eigenen Haustür mit dem Messer auflauerte.
Der Kriminaloberkommissar loggt sich in den Webmail-Account von Christoph Kästner ein. In seiner letzten Mail an Elsa Borger erzählt Kästner von einem Auftritt mit seiner Theatergruppe am Abend. Er ist überschwenglicher Stimmung. Seine Mail endet mit einem feurigen Liebesschwur. Um 00:59:35 Uhr sendet er die Mail ab.
»Zehn Minuten später lag er schon verblutend auf der Straße«, sagt Haack zu seinem Kollegen. »Wie lange braucht man zu Fuß von hier zum Schallerweg 11?«
Sie beschließen, es sofort auszuprobieren. In der Nacht auf Samstag war es nicht besonders kalt, überlegen sie, und der Regen hat erst später eingesetzt. Also wird sich Kästner nicht sehr beeilt haben. Er war in beschwingter Stimmung und wird eher geschlendert als gerannt sein.
Vom Virtual Village bis zum Schallerweg 11 brauchen sie bei gemäßigter Gangart sieben Minuten.
»Er ist demnach gegen 01:07 hier angekommen«, sagt Gartner, als sie vor Kästners Haustür stehen. »Zwei Minuten später hat Frau Krüger schon den Feuerwehrnotruf alarmiert.«
»Da war gar keine Zeit für einen Wortwechsel oder ein Handgemenge«, folgert Hauptkommissar Haack. »Der Mörder muss sich sofort auf ihn gestürzt und ihm das Messer in den Bauch gerammt haben.«
Diese Vermutung wird durch den Befund der Obduktion gestützt, die mein Kollege Dr. Lilienthal und ich am Morgen nach dem Mord durchgeführt haben. Der Leichnam wies keinerlei
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