Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
behauptet Bandera. »Er lief vorgekrümmt und hielt sich den Bauch. Da dachte ich, dass er sich durch den Aufprall am Rücken wohl ernster verletzt hat. Ich wollte ihm helfen. Aber weil er ja das Messer hatte, getraute ich mich nicht, ihm offen meine Hilfe anzubieten. Deshalb beschloss ich, einmal um den Block zu laufen.«
Hauptkommissar Haack ist mit seiner Geduld allmählich am Ende. »Sie wollen um den Block gelaufen sein, um Kästner zu helfen?«, fragt er. »War es nicht eher so, dass Sie sich aus dem Staub gemacht haben, weil ein Taxi in den Schallerweg kam? Sie wollten zu Ihrem Mietwagen, und um den Block sind Sie herumgelaufen, damit der Taxifahrer Sie nicht bemerkt!«
Erneut setzt Bandera eine tödlich gekränkte Miene auf. »Ich hoffte, dass Kästner mich nicht erkennen und deshalb meine Hilfe annehmen würde, wenn ich aus der anderen Richtung kommen würde.« Aus diesem Grund habe er auch seine auffällige blaue Regenjacke ausgezogen, unter der er noch eine schwarze Fleecejacke trug.
»Aber trotz dieser Vorbereitungen und guten Vorsätze«, stellt Gartner fest, »haben Sie Kästner keineswegs geholfen, sondern sind mit Ihrem Mietwagen einfach weggefahren. Wie erklären Sie uns das?«
Pablo Bandera hat auf alles eine Antwort – auch wenn die Erklärungen, die er sich zurechtgelegt hat, niemanden überzeugen. »Aber das liegt doch auf der Hand!«, versichert er. »Als ich wieder in Kästners Wohnstraße ankam, kauerte bereits ein anderer Mann neben ihm und telefonierte mit seinem Handy. Damit war klar, dass Kästner schon die nötige Hilfe bekam – und so konnte ich beruhigt abfahren.«
So konstruiert seine Geschichte auch klingt, Pablo Bandera findet drei Rechtsanwälte, die ihn vor der zuständigen Strafkammer des Landgerichts Berlin verteidigen und seine Version des Geschehens vehement vertreten. Die Verhandlung beginnt fast auf den Tag genau sechs Monate nach dem Tod Christoph Kästners und erstreckt sich über sieben Prozesstage.
Als Angeklagter in einem Strafrechtsprozess hat Bandera das Recht, zu schweigen oder auch zu lügen, sofern er sich durch Offenbaren der Wahrheit selbst belasten würde. Die Kriminalbeamten haben mittlerweile nachgewiesen, dass der Angeklagte in zahlreichen Punkten schlichtweg gelogen hat. So verfügt beispielsweise der Laden, in dem Bandera das Messer gekauft hat, über ein ganzes Sortiment von Messern aller Größen, die übersichtlich an diversen Stellen im Laden ausgestellt sind. Aus diesem breiten Angebot hat Bandera das Messer mit der größten Klinge ausgewählt – obwohl er doch angeblich nur ein kleines Messer, am liebsten ein Taschenmesser, erstanden hätte. Auch seine Behauptung, dass er sich eine Stunde vor dem tödlichen Zusammenstoß mit Kästner verabredet hätte, ist offenkundig erlogen. Elsa Borger hatte Kästner mehrfach Fotos ihres Ehemanns geschickt. Er hätte den Spanier also zweifellos erkannt und wäre nicht arglos in die Falle gelaufen, wenn er derart vorgewarnt worden wäre.
Diese Lügen und Ungereimtheiten verstärken zwar den Verdacht gegen Pablo Bandera. Aber um ihn des Mordes zu überführen, brauchen die Ankläger eindeutige Beweise. Und da es für die eigentliche Tat keine Augenzeugen gibt, kommt den Indizien wiederum entscheidende Bedeutung zu. Den Indizien – und den Sachverständigen, die sie im Interesse der Wahrheitsfindung interpretieren.
Der forensisch-psychiatrische Gutachter Dr. med. Fred Gollhardt schildert den Angeklagten als einen Mann mit brüchigem Selbstwertgefühl. Bandera sei emotional gehemmt und in seiner Sichtweise der Umwelt ausgesprochen selbstbezogen. Er neige dazu, sich missverstanden und ungerecht behandelt zu fühlen. Aber er leide nicht an einer pathologischen Persönlichkeitsstörung und sei fähig, sein Verhalten zu steuern und die Folgen seiner Taten zu erkennen.
In der Beziehung zu seiner Frau Elsa ist Bandera intellektuell unterlegen und zunehmend überfordert. Elsa Borger ist gebürtige Schweizerin und hat als Übersetzerin und Dolmetscherin gearbeitet, bevor sie Pablo heiratete und zwei Kinder von ihm bekam. Als diese das Schulalter erreichten, wollte Elsa sie in die Deutsche Schule in Madrid geben; Pablo dagegen bestand auf »spanischer Erziehung«. Darüber kam es zu Streit und Entfremdung der Ehepartner. Schließlich setzte sich Elsa durch: Die Kinder kamen auf die Deutsche Schule. Elsas Eltern übernahmen das Schulgeld, das Pablo nicht aufbringen konnte. Er verdiente rund 2000 Euro netto
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