Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
Abwärtstrend während der letzten zehn Jahre – wieder zunimmt.
In Deutschland nahmen sich im Jahr 2010 knapp 7500 Männer und etwas mehr als 2500 Frauen das Leben; 80 bis 90 Prozent der Betroffenen waren nachweislich psychisch erkrankt. Mit etwa 10000 Suizidtoten sind in Deutschland 2010 knapp dreimal mehr Menschen durch Suizide als durch Verkehrsunfälle gestorben.
Eine traurige Bilanz.
Der Internet-Lover
E in Schrei reißt Diana Krüger aus dem Schlaf. Die ältere Dame lauscht beunruhigt nach draußen.
Sie wohnt im Schallerweg, einer beschaulichen Nebenstraße im Berliner Stadtteil Wilmersdorf. Manchmal wird sie in der Nacht durch Betrunkene geweckt, die sich von der nahe gelegenen Kneipe Zum Falken auf den Heimweg machen. Aber dieser Schrei klang nicht wie das Gegröle eines bierseligen Zechers. Es war eindeutig ein Schmerzensschrei.
Die Leuchtziffern ihres Weckers zeigen 01:08 Uhr. Diana Krüger wirft die Bettdecke zurück und tappt durch ihre dunkle Wohnung im vierten Stock. Vom Wohnzimmerfenster aus kann sie gerade noch sehen, wie vom Bürgersteig gegenüber ein Mann auf die Fahrbahn taumelt.
»Du Schwein, du Mörder!«, ruft er mit schmerzverzerrter Stimme aus.
Auf der Straße weiter links nimmt sie einen Schatten wahr, der sich mit raschen Schritten aus ihrem Blickfeld entfernt. Die nächtliche Szenerie wird von den Straßenlaternen nur spärlich beleuchtet. Und im nächsten Augenblick hat der dunkle Park, der an der Straßenecke anfängt, die Silhouette vollends verschluckt.
Von rechts kommt ein Taxi herangefahren. Der Mann taumelt noch weiter auf die Fahrbahn und fuchtelt mit den Armen. Offenbar versucht er, das Taxi anzuhalten. Aber der Fahrer bremst nur kurz ab, fährt an dem Mann vorbei und gibt wieder Gas.
Wahrscheinlich hat er geglaubt, einen Betrunkenen vor sich zu sehen, sagt sich Diana Krüger. Doch der Mann da unten wirkt nicht betrunken. Er ist allem Anschein nach schwer verletzt.
»Hilfe!«, schreit er und wankt gegen ein geparktes Auto. Er sackt mit dem Oberkörper auf die Motorhaube und bleibt reglos liegen. Dann rappelt er sich noch einmal auf, macht einige weitere schwankende Schritte und bricht mitten auf der Straße zusammen.
Da hält Diana Krüger bereits ihr Telefon in der Hand und wählt den Notruf der Polizei. Auch wenn es ihr unglaublich vorkommt, sind gerade erst sechzig Sekunden vergangen, seit sie durch den Schrei aufgeweckt worden ist.
Nur wenige Minuten später treffen eine Zivilstreife der Polizei und ein Notarztwagen ein. Neben dem reglosen Körper auf der Fahrbahn kniet mittlerweile ein weiterer Mann: Arno Kistner, der Wirt der Gaststätte Zum Falken. Er hat ebenfalls beobachtet, wie der Mann auf der Straße zusammengebrochen ist, und fast zeitgleich mit Diana Krüger die Polizei alarmiert.
In den umliegenden Häusern sind nun etliche Fenster erleuchtet. Weitere Polizeiwagen fahren vor. Die Dunkelheit wird von zuckendem Blaulicht durchschnitten. Der Notarzt kauert neben dem Verletzten auf der Fahrbahn. Der Mann hat eine Stichverletzung im Unterbauch und liegt in einer Lache aus Blut. Er stöhnt und röchelt, ist jedoch nicht ansprechbar.
Aus einem der Mehrfamilienhäuser in der Nachbarschaft kommt eine Frau im Morgenmantel herbeigeeilt. Sie stellt sich als Christa Hunold vor und erklärt, dass sie durch ihr Schlafzimmerfenster alles mit angesehen habe. Insgesamt vier Zeugen alarmieren in dieser Novembernacht zwischen 01:09 und 01:11 Uhr die Notrufzentralen von Polizei und Feuerwehr.
Kurz darauf treffen Kriminalhauptkommissar Paul Haack und Kriminaloberkommissar Stefan Gartner von der Mordkommission sowie ein KTU-Team (Kriminaltechnische Untersuchung) ein. Uniformierte Polizisten sperren den Tatort mit Flatterband ab. Einer der Zivilpolizisten zeigt den Kriminalkommissaren das Messer, das im Rinnstein zwischen zwei parkenden Autos liegt. Ein Stahlmesser mit 18 Zentimeter langer Klinge, wie es Metzger verwenden. Die Klinge ist mit frischem Blut beschmiert. Vom Fundort führt eine Blutspur zu der Stelle, an der der Verletzte zusammengebrochen ist.
»Vermutlich die Tatwaffe«, stellt Kriminalhauptkommissar Haack fest, der die Ermittlungen leitet.
Sein Kollege Gartner durchsucht die Geldbörse, die der Geschädigte bei sich trug. Für deren Inhalt hat sich der Täter offenbar nicht interessiert. Sie enthält einige Geldscheine, Kreditkarten und Ausweispapiere. Der Mann heißt Christoph Kästner, ist 47 Jahre alt und wohnt im Schallerweg Nummer 11, nur
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