Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
wenige Schritte vom Tatort entfernt.
Um kurz nach halb zwei fährt der Notarztwagen den Schwerverletzten mit Sirene und Blaulicht zur nächstgelegenen Klinik. Christoph Kästner ist nach wie vor nicht bei Bewusstsein. Seine Überlebenschancen sind nach Angaben des Notarztes sehr schlecht.
Die Ermittler machen sich noch in der Nacht an die Befragung der Zeugen. Insgesamt sechs Nachbarn haben von den umliegenden Fenstern aus beobachtet, wie Christoph Kästner auf die Straße getaumelt kam und »Du Schwein, du Mörder!« rief. Übereinstimmend schildern sie, wie er vergeblich versuchte, das Taxi zu stoppen, und nach wenigen Schritten zusammenbrach.
Auch den Schmerzensschrei davor haben alle Zeugen wahrgenommen. Zwei von ihnen erwähnen außerdem, dass dem Schrei möglicherweise ein kurzer, lautstarker Wortwechsel vorangegangen sei. Doch niemand von ihnen hat beobachtet, wie Kästner niedergestochen wurde. Niemand vermag den Täter zu beschreiben. Auch Diana Krüger kann lediglich zu Protokoll geben, dass sie einen Schatten wahrgenommen habe, der in Richtung Park verschwunden sei.
Die Ermittler verschaffen sich Zutritt zu Christoph Kästners Einzimmerapartment im Schallerweg 11. Während sie die Wohnung durchsuchen, erhalten sie einen Anruf aus der Klinik: Eine sofortige Notoperation sei erfolglos geblieben. Kästner sei um drei Uhr im Operationssaal verstorben, ohne noch einmal das Bewusstsein erlangt zu haben. Mutmaßliche Todesursache: Verbluten aus Bauchstichverletzung.
»Für mich sieht das nach Mord aus«, sagt Kriminaloberkommissar Gartner zu seinem Kollegen. »Der Täter hat Kästner drüben beim Park aufgelauert und ihn niedergestochen.«
»Vielleicht gab es ja auch einen Streit zwischen den beiden«, gibt Hauptkommissar Haack zu bedenken. »Immerhin wollen mehrere Zeugen eine lautstarke Auseinandersetzung gehört haben.«
»Und die anderen Zeugen«, wendet Gartner ein, »haben nichts dergleichen gehört.«
Was bedeutet, dass zunächst einmal in alle Richtungen ermittelt werden muss. Eine Beziehungstat aus Eifersucht oder enttäuschter Liebe kommt prinzipiell ebenso in Frage wie eine ungewollte Eskalation bei einem Handgemenge. Nur Raubmord scheidet offenkundig aus. Kästners Geldbörse hat der Täter jedenfalls nicht angerührt.
Die Untersuchung der Wohnung des Toten bringt zunächst keinerlei Aufschluss. Christoph Kästner war offenbar ein ordentlicher Mensch. Der Verstorbene war verheiratet und lebte seit einem Jahr von seiner Frau und den beiden gemeinsamen Kindern getrennt. Er war Ingenieur und bei der Deutschen Bahn am Potsdamer Platz beschäftigt. In seiner Freizeit spielte er Theater und trat mit einer Schauspieltruppe auf. Allem Anschein nach lebte Christoph Kästner in geordneten Verhältnissen. Bis der Unbekannte ihm mitten in der Nacht das Messer in den Bauch stieß.
Natürlich kann es sich bei dem Täter auch um einen wahllos mordenden Psychopathen handeln. Auf den ersten Blick weist der Fall erschreckende Parallelen zu einem Mord auf, der 2001 verübt und niemals aufgeklärt wurde. Dieser Fall ereignete sich gleichfalls im Berliner Stadtteil Wilmersdorf, nur einige hundert Meter vom jetzigen Tatort entfernt. Aber die erfahrenen Ermittler wissen, dass derlei Zufallsmorde in Kriminalromanen weit häufiger vorkommen als in Wirklichkeit. Die überwältigende Mehrheit aller Gewaltverbrechen sind Beziehungstaten, und der Täter kommt fast immer aus dem direkten Umfeld des Opfers.
»Wir nehmen sein Notebook mit«, beschließt der Kriminalhauptkommissar. »Vielleicht findet die KTU auf der Festplatte brauchbare Hinweise.«
Am nächsten Morgen benachrichtigen die Ermittler Sandra Waldig-Kästner vom Tod ihres Ehemanns. Sie reagiert bestürzt und fassungslos. Christoph sei der friedfertigste Mensch auf der Welt gewesen, erklärt sie. Vor einem Jahr sei er aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen, aber ihre Beziehung sei weiterhin freundschaftlich gewesen. Zusammen hätten sie sich um ihre beiden Kinder gekümmert. Dass Christoph mit irgendjemandem in einen derartig eskalierenden Streit gerate, halte sie für vollkommen ausgeschlossen.
Die Ermittler haken nach: Ob es eine neue Frau in Kästners Leben gab, wollen sie von ihr wissen. Und ob Sandra Waldig-Kästner die Geliebte ihres Ehemannes kenne.
»Christoph hatte eine leidenschaftliche Fernbeziehung«, antwortet sie. »Elsa Borger, seine Jugendliebe.« Erst letztes Jahr sei er wieder mit Elsa in Kontakt gekommen, berichtet sie weiter. Er sei
Weitere Kostenlose Bücher