Die Kleinbürger (German Edition)
zuvorgekommen war. Diese war nicht nur ärgerlich über ihre Verspätung, sondern auch noch aus einem andern Grunde in Wut. Unter den gegebenen Umständen hatte sie es für erforderlich gehalten, ein Korsett anzulegen, ein Raffinement, das sie sonst für entbehrlich hielt. Die Unglückliche, die sie jetzt, und zwar gerade an der gewünschten Stelle, schnüren mußte, hatte allein einen Begriff davon, wie schrecklich und stürmisch solche Korsett-Tage zu verlaufen pflegten.
»Ich möchte lieber eine Obeliske zu schnüren haben«, sagte das Mädchen; »ich glaube ›die‹ würde sich besser dabei benehmen und jedenfalls kein solches Geschimpfe loslassen.«
Während man sich so in aller Stille darüber lustig machte, die Königin Elisabeth bei einem solchen Zeitvertrödeln ertappt zu haben, erschien der Portier und übergab Thuillier ein verschlossenes Paket, das eben bei ihm abgegeben worden war und die Aufschrift trug: »Herrn Thuillier, Direktor des Echos de la Bièvre. – Sehr eilig!«
Der Adressat beeilte sich, die Hülle zu öffnen und fand darin eine Nummer eines offiziösen Blattes, das schon einmal sich wenig entgegenkommend und wohlwollend gegenüber der neuen Redaktion gezeigt hatte, in dem es den »Austausch«, den die periodisch erscheinenden Journale von Zeitung zu Zeitung gern untereinander zu vollziehen pflegen, ablehnte.
Beunruhigt über diese Zusendung in seine Privatwohnung und nicht in das Bureau des Echos, entfaltete Thuillier schnell das Blatt und las mit einer Erregung, die man sich vorstellen kann, folgenden Artikel, der, um die besondere Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, mit roter Tinte eingerahmt war:
»Eine obskure Zeitung war schon im Begriff, im Dunkeln und eines natürlichen Todes zu sterben, als ein Streber neuesten Datums daran ging, sie künstlich zu beleben. Seine Absicht geht dahin, sie als Schemel zu benutzen, um sich von seinem städtischen Amte zu der so beneideten Stellung eines Deputierten hinaufzuschwingen. Glücklicherweise wird diese an den Tag gekommene Intrige sich als zwecklos erweisen. Die Wähler werden sich durch die fadenscheinigen Lockungen dieses Stücks Papier nicht fangen lassen, und falls die Lächerlichkeit dieser albernen Kandidatur sie nicht schon inzwischen gerichtet haben sollte, so werden wir diesem Herrn Prätendenten rechtzeitig klarmachen, daß es für die hohe Ehre, ein Repräsentant des Volkes zu sein, nicht schon genügt, das erforderliche Geld zum Ankauf einer zurückgesetzten Zeitung und zum Engagement eines Helfers zu haben, der das abscheuliche Kauderwelsch seiner Artikel und Broschüren ins Französische übersetzt. Wir begnügen uns für heute mit dieser kleinen Warnung, aber unsere Leser mögen überzeugt sein, daß wir sie auf dem Laufenden über diese Wahlkomödie halten werden, falls man den traurigen Mut besitzen sollte, sie fortzusetzen.«
Thuillier las diese Kriegserklärung zweimal durch, wobei sich seine Miene stark verdüsterte; dann nahm er la Peyrade beiseite und sagte zu ihm:
»Sieh mal, das ist eine ernste Sache.«
Der Provenzale las den Artikel.
»Nun und?« sagte er dann.
»Wie denn, nun und?« bemerkte Thuillier.
»Was siehst du denn Ernstes darin?«
»Was ich darin Ernstes sehe? Ich finde, daß man nicht gut beleidigender gegen mich schreiben kann.«
»Du bist doch wohl nicht im Zweifel,« fuhr la Peyrade fort, »daß das von irgendeinem edlen Cérizet stammt, der dir aus Rache einen Knüppel zwischen die Beine wirft.«
»Ob Cérizet oder ein anderer, wer diesen Schmähartikel verfaßt hat, ist ein unverschämter Mensch,« sagte Thuillier aufgeregt, »und ich kann dazu nicht stillschweigen.«
»Ich bin nicht der Meinung,« sagte la Peyrade, »daß man darauf antworten soll. Du bist weder genannt noch näher bezeichnet, obgleich es schwer ist, den Angriff nicht auf dich zu beziehen. Unser Gegner muß sich erst noch weiter vorwagen, dann kann man ihm zur rechten Zeit eins auf die Finger geben.«
»Keineswegs!« erklärte Thuillier; »eine solche Beleidigung darf man nicht stillschweigend hinnehmen.«
»Teufel nochmal!« sagte der Advokat, »was hast du für eine empfindliche Haut! Aber bedenke doch, mein Lieber, daß du ein Wahlkandidat und ein Journalist bist, und daß man sich dazu eine Elefantenhaut anschaffen muß.«
»Ich lasse mir grundsätzlich nicht auf den Fuß treten, lieber Freund. Außerdem wird ja schon die Fortsetzung angekündigt. Man muß daher mit solchen Frechheiten kurzen Prozeß
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