Die Kleinbürger (German Edition)
machen.«
»Also schön! ...« sagte la Peyrade. »Beim Journalismus wie bei Wahlkandidaturen hat ein heftiges Temperament gewiß auch sein Gutes: man verschafft sich Respekt und beugt vielen Angriffen vor.«
»Gewiß,« meinte Thuillier, »principiis obsta; heute nicht, weil wir keine Zeit dazu haben, aber spätestens morgen werde ich die Sache dem Gericht anzeigen.«
»Dem Gericht?« rief la Peyrade, »du willst die Sache vors Gericht bringen? Aber es liegt ja hier kein Anlaß zu einem Strafprozeß vor; weder du noch die Zeitung sind genannt, und dann ist solch ein Prozeß ja eine jämmerliche Geschichte; das sieht aus, wie wenn Kinder, die Schläge bekommen haben, sich bei der Mutter oder beim Lehrer beklagen. Wenn du noch sagen wolltest, daß Fleury dafür eintreten soll, das würde ich verstehen, obgleich es dich persönlich angeht und es sehr schwer sein dürfte, darin eine Beleidigung für die soziale Position der Zeitung, für die der verantwortliche Redakteur eintreten muß, zu sehen.«
»Was denn?« entgegnete Thuillier, »glaubst du etwa, daß ich mich mit einem Cérizet oder irgendeinem Raufbold der Regierung einlassen werde? Ich setze meinen Stolz darein, mein Lieber, nur bürgerlichen Mut zu beweisen, der sich nicht einem Vorurteil beugt, und der, statt sich selber Genugtuung zu verschaffen, sich auf die Verteidigungsmittel beschränkt, die ihm das Gesetz gewährt. Übrigens habe ich mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des Kassationshofs auch durchaus keine Lust, mich in die Lage zu versetzen, mein Vaterland zu verlassen, oder einige Jahre im Gefängnis zubringen zu müssen.«
»Wir werden über alles das noch zureden haben«, sagte la Peyrade; »aber deine Schwester würde alles für verloren halten, wenn wir diese kleine Verlegenheit vor ihr erwähnen wollten.«
Als er Brigitte eintreten sah, hatte Colleville ausgerufen: »Komplett!«
Und er hatte einen Refrain aus der »Pariserin« angestimmt.
»Mein Gott, Colleville, was haben Sie für schlechte Manieren!« sagte die Verspätete, indem sie sich beeilte, einen Stein in den Nachbarsgarten zu schmeißen, um keinen in ihren geworfen zu bekommen. – »Sind wir nun alle fertig?« fuhr sie fort und zog sich ihre Mantille vor dem Spiegel zurecht. »Wie spät ist es denn? Wir wollen doch nicht zu früh kommen, wie Leute aus der Provinz.«
»Zwanzig Minuten vor zwei Uhr,« sagte Colleville, »meine Uhr geht genau nach der Tuilerienuhr.«
»Also dann ist es gerade richtig«,erklärte Brigitte; »bis zur Rue Caumartin brauchen wir nicht mehr. – Josephine,« rief sie aus der Salontür, »wir essen um sechs Uhr, stecken Sie die Pute rechtzeitig an den Spieß und passen Sie ordentlich auf, daß sie nicht wie voriges Mal verbrannt ist. – Was ist denn da los?« bemerkte sie und schloß schnell die Tür, die sie geöffnet hatte; »ein Störenfried, hoffentlich war Henri so klug und hat gesagt, daß niemand zu Hause ist.«
Das war aber durchaus nicht der Fall, denn Henri erschien und meldete, daß ein älterer Herr, mit Orden geschmückt und von sehr vornehmen Äußeren, in einer dringenden Angelegenheit empfangen zu werden wünsche.
»Konnten Sie ihm denn nicht sagen, daß niemand zu Hause ist?«
»Das hätte ich schon getan, wenn das Fräulein nicht gerade die Salontür geöffnet hätte, so daß der Herr die ganze Familie versammelt sah.«
»Ja,« sagte Brigitte, »Sie haben natürlich immer Recht.«
»Was soll ich ihm für einen Bescheid geben?« fragte der Diener
»Sagen Sie,« antwortete Thuillier, »daß ich bedaure, den Herrn nicht empfangen zu können, weil mich der Notar zur Unterzeichnung eines Ehekontrakts erwartet, daß ich ihn aber, wenn er in zwei Stunden wiederkommen will ...«
»Das habe ich ihm alles schon gesagt«, erwiderte Henri; »er hat mir aber geantwortet, daß dieser Kontrakt gerade der Grund sei, weswegen er gekommen wäre, und daß sein Besuch Sie mehr anginge als ihn.«
»Also empfange ihn und expediere ihn mit ein paar Worten«, sagte Brigitte; »das wird schneller gehn, als wenn wir uns hier Henris Auseinandersetzungen anhören, der der reine Redner ist.«
Wäre la Peyrade gefragt worden, so hätte er vielleicht nicht dasselbe angeraten, denn er hatte schon mehr als einen Beweis von den Steinen erfahren, die eine geheimnisvolle Macht seinen Heiratsplänen in den Weg zu werfen bemüht war, und auch dieser Besuch schien ihm von böser Vorbedeutung zu sein.
»Führen Sie ihn in mein Arbeitszimmer«, sagte
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