Die Kleinbürger (German Edition)
Theodosius, »ich erwartete seinen Besuch; er ist im Salon ... Er braucht Cérizets Überrock nicht zu sehen,« fügte er lächelnd hinzu, »diese Schnüre da würden ihn beunruhigen.«
»Bah! Du empfängst arme Leute, das ist doch dein Beruf ... Brauchst du Geld?« fuhr Cérizet fort und holte hundert Franken aus der Hosentasche. »Nimm, nimm, das wird dir gut tun.«
Und er legte den Stapel auf den Kamin.
»Übrigens«, sagte Dutocq, »können wir uns ja auch durch das Schlafzimmer entfernen.«
»Also adieu«, sagte der Provenzale und öffnete ihnen die Tapetentür, die von dem Arbeitszimmer ins Schlafzimmer führte. »Treten Sie ein, mein verehrter Herr Thuillier«, rief er dem alten Beau zu. Und als er ihn in der Tür des Arbeitszimmers erscheinen sah, begleitete er seine beiden Genossen durch das Schlaf- und Ankleidezimmer und die Küche, deren Tür auf den Hausflur ging.
»In sechs Monaten mußt du Celestes Mann und aus aller Not sein ... Du bist doch ein glücklicher Mensch, du, du hast nicht auf der Anklagebank vor dem Zuchtpolizeigericht gesessen, zweimal ... wie ich! Das erstemal im Jahre 1825 in einem Tendenzprozesse, ... wegen einer Reihe von Artikeln, die ich nicht geschrieben hatte, und das zweitemal wegen der Gewinne aus der Gründungsgeschichte, die uns vor der Nase weggeschnappt wurden! Aber nun Feuer dahinter, verdammt noch mal! Dutocq und ich, wir haben jeder unsre fünfundzwanzigtausend Franken verflucht nötig; also viel Glück, mein Lieber!« schloß er und reichte Theodosius die Hand, indem er sie prüfend drückte. Der Provenzale reichte Cérizet die Rechte und drückte ihm aufs wärmste die Hand.
»Sei überzeugt, mein Junge, daß ich unter keinen Umständen jemals vergessen werde, aus welcher Lage du mir herausgeholfen und mich in den Sattel gesetzt hast ... Ich bin euer Angelhaken, aber ihr laßt mir einen schönen Anteil an der Beute, und ich müßte ja niederträchtiger als ein Sträfling, der sich als Spion anbietet, sein, wenn ich nicht offenes Spiel spielen würde.«
Sobald die Tür geschlossen war, sah Cérizet durchs Schlüsselloch, um Theodosius' Gesicht zu beobachten; aber der Provenzale hatte sich schon umgewandt, um zu Thuillier zurückzueilen, und sein mißtrauischer Genosse konnte nicht sehen, welchen Ausdruck seine Physiognomie angenommen hatte.
Es war weder Widerwille noch Ärger, sondern Freude, was sich jetzt auf seinem unbeobachteten Gesichte malte. Theodosius sah, wie die Chancen des Erfolges sich immer günstiger für ihn gestalteten, und er schmeichelte sich mit dem Gedanken, daß er sich von seinen üblen Helfershelfern, obwohl er ihnen alles verdankte, schon würde losmachen können. Das Elend hat, besonders in Paris, unergründliche schmutzige Tiefen, und wenn ein darin Versunkener wieder an die Oberfläche kommt, so bringt er an seinem Körper und an seinen Kleidern die Spuren des Schmutzes mit herauf. Cérizet, Theodosius' früherer wohlhabender Freund und Beschützer, war der Schmutzfleck, der noch an dem Provenzalen haftete, und der alte Gründungsschwindler ahnte, daß dieser ihn sich würde abbürsten wollen, wenn er in eine Sphäre gelangte, wo ein anständiges Aussehen Bedingung war.
»Mein lieber Theodosius,« sagte Thuillier, »wir haben Sie jeden Tag in dieser Woche erwartet, und jeden Abend haben wir unsre Erwartung getäuscht gesehen. Aber diesen Sonntag haben wir unser Diner, und meine Schwester und meine Frau haben mich beauftragt, Sie dazu zu bitten ...«
»Ich hatte so viel zu tun,« sagte Theodosius, »daß ich für niemanden, wer es auch sei, auch nur zwei Minuten übrig hatte, selbst nicht für Sie, den ich doch zu meinen Freunden rechne, und mit dem ich zu reden hatte ...«
»Wie? Denken Sie denn wirklich ernsthaft an das, worüber Sie mit mir gesprochen haben?« unterbrach Thuillier Theodosius.
»Wenn Sie nicht gekommen wären, damit wir uns darüber verständigen, dann würde ich Sie nicht so hochschätzen, wie ich es tue«, entgegnete la Peyrade lächelnd. »Sie waren doch Vizechef, Sie werden also doch wohl noch ein wenig Ehrgeiz haben, und der ist bei Ihnen nur allzu berechtigt! Hören Sie! Unter uns gesagt, wenn man sieht, wie dieser Minard, ein vergoldeter Hohlkopf, zu Hofe geht und sich in den Tuilerien breit macht; wie Popinot auf dem Wege ist, Minister zu werden; ... und Sie, ein Mann, der die Geschäfte der Verwaltung am Schnürchen hat, ein Mann mit dreißigjähriger Erfahrung, der unter sechs Regierungen gedient hat, Sie
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