Die kleinen Freuden des Lebens
ordnen, das ist so, als würde man einen Begriff im Lexikon nachschlagen. Man bleibt an einem anderen Artikel hängen
und blättert hin und her und schmökert und schweift ab und entdeckt tuberkulöse Schriftsteller, bizarre Erfindungen und nackte
Eingeborene. Irgendwann hat man sein Ziel und die Zeit aus den Augen verloren. Anderen geht es so, wenn sie in ihrer Fotokiste
wühlen, vielleicht weil sie einen passenden vulgären Schnappschuss für die Hochzeit des besten Freundes suchen wollen – und
plötzlich kramen sie stundenlang herum, blicken in die Gesichter ihrer Freundinnen vor zehn Jahren und in ihre eigenen, von
wilden Experimenten mit weichen Drogen geröteten Augen einer Augustnacht 1993.
Rob aus ›High Fidelity‹ hatte Liebeskummer. Aber ich wette, dank des Ordnens seines Vinyls hatte er dennoch einen prima Abend.
Und außerdem geht der Film gut aus.
Ein Computer, der nie abstürzt
I ch
habe ihn noch nicht gefunden, aber es muss ein sehr, sehr befriedigendes Gefühl sein.
Döner auf die Faust
I ch esse alles, was mich nicht zuerst isst. Dafür sorgt schon meine italienische Frau, die mir die Angst vor allerlei hässlichen,
zuckenden und schleimbehafteten Spezialitäten mit Geduld und der einen oder anderen Drohung ausgetrieben hat. Zu den Tätigkeiten
als Reisejournalist gehört es, sich von den örtlichen Tourismusbüros in angesehene Restaurants einladen zu lassen, so dass
ich auch schon eine Menge »Sterne geschossen« habe, wie das ein Kollege von mir nennt. Aber ich gehe auch fröhlich pfeifend
ans andere Ende der Skala. Ich esse verdächtig billiges Sushi, Currywurst, Tankstellenbrötchen. Ich esse bei McDonald’s und
bei Burger King. An umgebauten Wohnwägen, die in der Provinz am Straßenrand stehen, kaufe ich manchmal einen ledrigen Brathahn
zweifelhafter Provenienz. Und mindestens einmal im Monat zwänge ich mir einen Döner »mit scharf« rein.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung würde mich nicht gerade zum Poster Boy ihrer neuen Kampagne ernennen. Aber das bisherige
Resümee meines gedankenlosen Dahinessens ist Folgendes: Ein einziges Mal trug ich eine schwere Lebensmittelvergiftung davon
(zwei Mal,wenn man Tequila als Lebensmittel mitzählt, aber das gehört jetzt nicht hierher). Mein Magen hing mir zwei Tage lang aus dem
Gesicht wie eine umgestülpte Socke (treue Leser wissen, dass ich diesen Satz in jedem meiner Bücher unterbringe). Und jetzt
halten Sie sich fest: Die Lebensmittelvergiftung nahm ihren Lauf durchs Gedärm, nachdem ich im Jahr 2004 bei einem Koch zu
Gast gewesen war, der im Jahr 2005 zu den fünf besten Köchen Frankreichs gewählt wurde. Tja.
Man soll nicht vom Speziellen aufs Allgemeine schließen, aber wer Fastfood aus hygienischen Gründen ablehnt, dem sei gesagt,
dass es beispielsweise in einer McDonald’s-Filiale hygienischer zugeht als in so manchem Restaurant gehobener Kategorie. Dass
man allerlei gegen McDonald’s einwenden kann – etwa dass es ein sich ekelhaft gebärdender Weltkonzern ist –, steht auf einem anderen Blatt, wobei man auch da den ermüdenden westeuropäischen Antiamerikanismus einpreisen sollte. Wie
wäre es denn mal, auf heimische Rüstungskonzerne aus Bayern oder Schwaben zu schimpfen, die böse Dinge herstellen, welche
Leute direkt umbringen, ganz ohne Umweg über Fettleibigkeit und Cholesterinspiegel?
Zurück zur Dönerbude um die Ecke. Der Döner ist so ziemlich die Antithese zu allem, was die Deutschen in Sachen Genuss in
den letzten Jahrzehnten gelernt haben. Gegen das Döneressen spricht eigentlich alles. Es ist erstens kein Event, zweitens
vermutlich nicht sehr gesund, drittens der Karriere (Zwiebeln! Knoblauch!) nicht förderlich und viertens überhaupt nicht ästhetisch.
Die Joghurtsauce läuft bis in die Hemdsärmel hinein, das Gesichtist schon nach wenigen Bissen völlig verschmiert. Wenn man Pech hat, fällt etwas auf die neuen Schuhe und hinterlässt dort
einen nicht mehr wegzuputzenden Fleck.
Doch wie wunderbar sind diese Bissen! Das lauwarme Fladenbrot, das warme Fleisch, die kühle Sauce, das scharfe Beiwerk, und
das alles auf einmal: einfach perfekt. Man weiß gar nicht, an was man sich zuerst erfreuen soll, und nach langer Abstinenz
ist der Biss in einen Döner echtes Glück. Döneressen in Gemeinschaft hat zudem etwas ungeheuer Archaisches und schweißt in
der allgemeinen Kleckerei zusammen. Döner schafft Nähe. Wer schon einmal Döner gemeinsam
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