Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
tue es ja schon. Im Grunde steckt recht viel von dir in meiner Oper.
Cori antwortet nicht, zieht eine erstaunte Schnute. Was meint er denn? Bin etwa ich die Butterfly?
Sie ist es in gewissem Sinne tatsächlich und ahnt nichts davon. In der Vorlage für die neue Oper, John Luther Longs Erzählung »Madame Butterfly«, war die weibliche Heldin siebzehn Jahre alt, und siebzehn war auch Cori, als er ihr zum ersten Mal begegnete. Er könne nur komponieren, wenn er verliebt sei, erklärt Puccini seinen Freunden.
Beide haben einander im Zugabteil zwischen Turin und Mailand kennengelernt. Sie hatte ihn erkannt und angesprochen, neckisch-dreist, er fühlte sich geschmeichelt und zum Flirt bereit, jedoch auf routinierte Weise, ohne ernsthaften Glauben, es könne mehr daraus werden. Obwohl sie ihm nicht ganz so jung erschien, wie sie tatsächlich war. Ihr Gesicht ist eines jener Gesichter, die sich altersmäßig nicht leicht einordnen lassen, er hätte die Siebzehnjährige genausogut für zweiundzwanzig halten können.
»Mein Name ist Maria Anna, ich habe kein Billett für die Erste Klasse, aber ich möchte kurz vorbeischauen und Ihnen sagen, daß ich keine Musik auf Erden so sehr liebe wie Ihre Bohème!«
Und er, bereits bezaubert, hatte sie hereingebeten, das mit dem fehlenden Erste-Klasse-Billett mache nichts, das bringe er notfalls in Ordnung. Er hatte beim Schaffner Getränke bestellt. Wein und Limonade. So hatte das Ganze begonnen, Anfang Februar vor drei Jahren. Als sie im Zug ein paar Takte der Mimi aus dem ersten Akt gesungen hatte – Mi chiamano Mimi –, war er hilflos vor ihrem Liebreiz zerbrochen. Als würde ihr leicht krächzender Gesang etwas unter seiner Stirn wegschmelzen und freilegen, aufbrechen für den frisch entgegenwehenden Wind. Bald hatte für ihn festgestanden, daß er als nächste Oper die Butterfly machen würde.
Vor ihm saß das Geschöpf, das er für diese Arbeit brauchte.
Einige Briefe wurden gewechselt.
Mit jedem Brief war der Ton leidenschaftlicher, schlüpfriger geworden.
Cori, später Corinna genannt, hatte dann die Initiative ergriffen, vorgeschlagen, man könne die Bekanntschaft doch vertiefen, falls es ihn nicht langweile. Von seinen Opern kannte sie nur Manon und die Bohème , letztere aber recht gut, das Werk verkörpere vollkommen ihre Auffassung vom Leben, wobei er nicht nachzufragen gewagt hatte, was sie genau damit meine. Was kann ein junges Mädchen damit schon meinen?
Als er am 14. Februar 1900 nach Turin fährt, den äußeren Anlaß bietet die dortige Aufführung der Tosca , ist sich Giacomo ziemlich sicher, was ihn erwarten wird. Im Zug schreibt er an den Freund Nomellini, es warte auf ihn un pezzo di vagina fresca , das ihm helfen könne, sein Alter – damals einundvierzig – zu vergessen.
Er verbringt einen Nachmittag mit der vagina fresca im Café, umwirbt sie, doch kommt es zu einem noch sehr züchtigen Abschied, nicht nur wegen der vielen Augen, die nach den beiden schielen. Cori gibt sich ihm nicht sofort hin, erst nach acht Tagen schreibt Giacomo einem befreundeten Architekten, daß heute abend wahrscheinlich seine Männlichkeit auf dem Prüfstand stehe . Und wirklich klopft Cori am 22. Februar, kurz nach neun Uhr abends, an seine Zimmertür im Grand Hotel d’Europe, küßt ihn auf den Mund, erklärt sich zu allem bereit. Die Situation als solche ist für Giacomo keine ungewöhnliche, abgesehen von Coris Jugend. Dutzende Frauen haben sich ihm so offeriert und hingegeben. Und er ist nie wählerisch gewesen, hat kaum ein Angebot je ausgeschlagen. Aber diesmal ist da mehr, viel mehr, Cori liebt ihn vom ersten Moment an rückhaltlos, voller Innigkeit und so, als seien die beiden schon seit vielen Jahren zusammen, einander vertraut. Es ist ihm beinahe unheimlich, wieviel Intimität und Geborgenheit er in ihrer Gegenwart spürt. Plötzlich wird er schüchtern und scheut zurück, kann sein Glück nicht fassen. Bekommt ein wenig Angst.
Wie sie denn das gemeint habe, mit der Auffassung vom Leben – und der Bohème? Das Scheitern aller Dinge am Ende?
Nein, antwortet sie flüssig und überwältigend altklug, das Ende interessiere nicht, das sei bitter, immer, doch umso süßer möge alles sein, was vorher passiert. Alles. Man könne damit nicht früh genug anfangen, und er möge sich beeilen, sie müsse noch vor Mitternacht nach Hause.
So gefordert, überwindet er seine Angst und defloriert das Mädchen binnen der nächsten halben Stunde. Und sie bereut
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