Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
würde. Neugierig geworden, weil sie sich nicht vorstellen kann, wie sie sich um den schon älteren Mann » kümmern « könnte, bleibt sie stehen. Was dann geschieht, darüber gibt es zwei unterschiedliche Versionen. Maddalena rennt nach einigen Minuten weg, erzählt ihrem sechzehnjährigen Bruder die erste jener beiden Versionen. Der Bruder wendet sich an zwei Gendarmen, welche das immer noch auf der Bank hockende ältere männliche Individuum ohne große Diskussion verhaften.
Im Prozeß, der schon am nächsten Tag stattfindet, behauptet die Zwölfjährige, der Angeklagte, Domenico C., 48, von Beruf Bäkker, wohnhaft in Turin, Via Rivara 8, habe ihr obszöne Vorschläge gemacht und ihr sein membro virile gezeigt. (Dem kleinen Mädchen fehlt allerdings noch das Wort für das männliche Glied, sie spricht von seinem culo .)
Der Angeklagte bestreitet alle Vorwürfe vehement und verteidigt sich damit, daß an seiner Hose ein Knopf gefehlt habe und die Kleine wohl einen Zipfel seines hervorstehenden Hemdes gesehen habe, darüber hinaus über entschieden zuviel Phantasie verfüge. Maddalena wird in einem Nebenzimmer gebeten, ihrer Mutter zu demonstrieren, was der Angeklagte mit diesem Zipfel, ob nun Hemd oder nicht, denn angestellt habe. Die nachgestellten Masturbationsgesten überzeugen das Gericht. Eine Zwölfjährige, heißt es, könne sich so etwas nicht ausdenken.
Die Strategie des Verteidigers, Cavaliere Daviso, wirkt wenig überzeugend und gipfelt in dem merkwürdigen Versuch einer existentialphilosophischen Debatte, nämlich zu behaupten, daß nicht existiere, was keinen Namen habe. Das Mädchen habe ein Gesäß wahrgenommen, also sei der Angeklagte nur so zu bestrafen, als ob er ihr sein Gesäß gezeigt habe, denn sie habe nun einmal Gesäß gesagt, und man könne diese Angabe nicht leichtfertig außer Kraft setzen.
In der Urteilsbegründung heißt es, sich ernsthaft darauf hinausreden zu wollen, die Zeugin habe statt des korrekten Begriffes für das männliche Geschlechtsorgan das Wort Culo – Gesäß – benutzt, sei absurd und lächerlich; einem noch ganz unschuldigen Mädchen stehe der Wortschatz eben nur begrenzt zur Verfügung.
Der Vizebrigadiere der örtlichen Zollbehörde, Pancrazio Savarino, stellt dem Angeklagten ein hervorragendes Leumundszeugnis aus – vergeblich. Domenico C. wird aber, weil er nie zuvor straffällig geworden war und er das Gericht mit seinem höflichen Betragen beeindrucken kann, nur zur Mindeststrafe von 75 Tagen Gefängnis plus Übernahme der Prozeßkosten verurteilt. Er geht sofort in Berufung. Der Termin für den Appellationsprozeß wird auf den 27. November 1903 festgelegt. Bis dahin bleibt Signore C. auf freiem Fuß.
24
Am 1. Oktober 1903 schreibt Giacomo, wieder an Alfredo Vandini, darüber nachzudenken, die Beziehung zu Cori zu beenden. Seine Unentschlossenheit ärgere ihn.
Am 4. Oktober 1903 schreibt er von Paris aus an Riccioni, daß ihm aus Turin häßliche Dinge gemeldet worden seien und er in Kürze Beweise, schwarz auf weiß, erwarte.
Prompt trifft das abschließende Überwachungsprotokoll der Detektive ein. Puccini liest es und verzweifelt. Er ist, schenkt man dem Glauben, was da steht, offenbar beinahe vier Jahre seines Lebens mit einer Nutte verbandelt gewesen. Wenn auch nur die Hälfte dessen stimmt, was da steht, ist eine Rückkehr zu ihr unmöglich. Falls die Öffentlichkeit davon Wind bekäme, in welchen Kreisen er sich, wenn auch unbewußt, aufgehalten hat, wäre der Skandal perfekt.
Daß er auf Fälschungen hereingefallen sein könne, hält er in seiner Paranoia zwar am Rande für denkbar, dennoch beginnt er, Cori zu verurteilen. Entschuldigt sie dann wieder. Verurteilt sie erneut. Es muß ein Schlußstrich gezogen werden. Aber wie?
Vorerst überwacht er die Proben zur Tosca an der Opéra Comique. Wie so oft, hält er sein Eingreifen vor Ort für unabdingbar, meistens hat er damit recht. Die Primadonna des Hauses nimmt er beiseite und kündigt ihr harte Zeiten an.
Freuen Sie sich nicht über meine Anwesenheit. Ich werde Sie quälen , denn ich quäle nur gute Sängerinnen, bei denen sich das lohnt . (Sagt er zu jeder Sängerin. Die meisten finden es erregend.)
Am 13. Oktober wird die Tosca dem französischen Publikum vorgestellt, gerät zum dort fast schon gewohnten Triumph. Paris befindet sich im Puccini-Fieber, jeder Abend an der Opéra Comique ist ausverkauft. Elvira erhält in den Geschäften der großen Boulevards großzügige Rabatte,
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