Die Kleptomanin
stand. Dann wurde Poirot gebeten, mit seinem Vortrag zu beginnen. Die beiden Türken entschuldigten sich höflich. Die Übrigen setzten sich und sahen erwartungsvoll aus.
Poirot stand auf und sprach mit dem ihm eigenen Selbstbewusstsein. Er hörte sich gern reden. Er sprach in lockerem Ton eine Dreiviertelstunde lang und erzählte von all den Fällen, die sich für eine etwas übertriebene Darstellung anboten. Wenn er dabei auf subtile Weise den Eindruck erweckte, er könne ein Scharlatan sein, so gelang es ihm aber, dies nicht zu offensichtlich werden zu lassen.
»Und deshalb sage ich«, so schloss er seinen Vortrag, »zu diesem Herrn, sein Fall erinnere mich an einen Seifenproduzenten in Lüttich, der seine Frau umgebracht hat, um seine hübsche blonde Sekretärin zu heiraten. Ich sage das ganz beiläufig, aber die Reaktion kommt prompt. Er drückt mir das gestohlene Geld in die Hand, das ich gerade für ihn wiederbeschafft habe. Und er wird blass, und aus seinen Augen blickt Angst. ›Ich werde dieses Geld für einen wohltätigen Zweck spenden‹, sage ich. ›Tun Sie damit, was Sie wollen‹, sagt er. Und ich sage zu ihm, und zwar mit Nachdruck: ›Ich würde Ihnen empfehlen, Monsieur, dass Sie sehr, sehr vorsichtig sind.‹ Er nickt stumm. Und als ich gehe, sehe ich, wie er sich den Schweiß von der Stirn wischt. Er hat es gewaltig mit der Angst bekommen, und ich – ich habe ihm das Leben gerettet. Denn obwohl er in diese blonde Sekretärin vernarrt ist, wird er jetzt nicht mehr daran denken, seine dumme, unangenehme Frau zu vergiften. Vorbeugen ist immer besser als heilen. Wir wollen Morde verhindern – nicht erst warten, bis sie geschehen sind.«
Er verbeugte sich mit ausgebreiteten Armen.
»So, jetzt habe ich Ihre Aufmerksamkeit lange genug in Anspruch genommen.«
Die Studenten klatschten begeistert. Poirot verneigte sich. In diesem Moment, als er sich gerade wieder setzen wollte, nahm Colin McNabb seine Pfeife aus den Zähnen und bemerkte:
»Und könnten Sie jetzt vielleicht die Güte haben, uns zu erklären, warum Sie wirklich hergekommen sind!«
Für einen Augenblick herrschte Stille, dann sagte Patricia vorwurfsvoll: »Colin.«
»Man wird doch schließlich noch fragen dürfen, oder?« Er blickte sich höhnisch um. »Monsieur Poirot hat uns einen sehr amüsanten kleinen Vortrag gehalten, aber deshalb ist er doch wohl nicht hergekommen. Nein, er ist beruflich hier. Sie glauben doch wohl nicht, Monsieur Poirot, dass wir tatsächlich so dumm wären, das nicht zu merken?«
»Du sprichst nur für dich, Colin«, sagte Sally.
»Aber es stimmt doch, oder etwa nicht?«, fragte Colin.
Wieder breitete Poirot seine Arme in einer Geste dankbarer Anerkennung aus.
»Ich muss zugeben«, sagte er, »dass meine freundliche Gastgeberin mir im Vertrauen gesagt hat, dass sie über gewisse Dinge – beunruhigt ist.«
Len Bateson erhob sich mit finsterer, aufsässiger Miene. »Was hat das alles zu bedeuten?«, fragte er. »Ist das hier alles nur vorgeschoben?«
»Bist du da wirklich gerade jetzt erst drauf gekommen, Bateson?«, fragte Nigel mit süßlicher Stimme.
Celia schnappte angstvoll nach Luft und sagte: »Dann hatte ich also Recht!«
Mrs Hubbard verschaffte sich Gehör.
»Ich habe Monsieur Poirot gebeten, uns einen Vortrag zu halten, aber ich wollte ihn gleichzeitig auch wegen verschiedener Dinge um Rat bitten, die sich hier in letzter Zeit abgespielt haben. Irgendetwas muss schließlich getan werden, und es schien mir, dass es nur eine einzige Alternative gäbe – die Polizei.«
Sofort brach eine heftige Diskussion aus. Genevieve platzte erregt auf Französisch heraus: »Die Polizei! Das wäre eine Schande, ein Skandal!« Andere Stimmen fielen ein, teils dafür, teils dagegen. In die anschließende Stille erhob Leonard Bateson entschieden seine Stimme.
»Lasst uns hören, was Monsieur Poirot dazu zu sagen hat.«
Mrs Hubbard sagte: »Ich habe Monsieur Poirot bereits alle Fakten mitgeteilt. Und ich bin sicher, dass keiner von Ihnen etwas dagegen hat, wenn er weitere Fragen stellt.«
Poirot verbeugte sich zu ihr hin.
»Danke.« Nach Art eines Zauberkünstlers brachte er ein Paar Abendschuhe zum Vorschein und überreichte es Sally Finch.
»Sind das Ihre, Mademoiselle?«
»Wie – ja – alle beide? Wo haben Sie den fehlenden Schuh her?«
»Vom Fundbüro in der Baker Street.«
»Aber wie sind Sie darauf gekommen, dass er dort sein könnte, Monsieur Poirot?«
»Eine ganz einfache Schlussfolgerung.
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