Die Klimafalle - die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung
gezeigt, bereits vorder Jahrtausendwende exponierte Köpfe der Klimawissenschaft, die die verschiedensten Rollen einnahmen: etwa der eloquente Mojib Latif, der große Sprachbilder einsetzte (wie den „gezinkten Würfel“, um die Veränderung der Häufigkeit von Wettereignissen, also des Klimas, darzustellen) oder geschickte Dramatisierer, die vor allem von den privaten Fernsehsendern angefragt wurden. Im Prinzip aber waren diese Naturwissenschaftler innerhalb ihrer Gruppen austauschbar.
Mit der Auseinandersetzung über die Hockeyschlägerkurve änderte sich das vollkommen. Klimaforschung war nun öffentlich mit Klimapolitik vermengt. Zudem verdichtete sich der Verdacht auf Manipulationsversuche im Kampf um Verlauf und Deutung der Kurve: Im Rahmen des „Climategate“-Skandals von 2009 waren entsprechende Indizien in privaten E-Mail Korrespondenzen einzelner Forscher aufgetaucht und öffentlich gemacht worden, nach einem Einbruch in den Server der Universität von East Anglia in Norwich oder im Zuge einer Indiskretion (siehe S. 110 ff.). Die Ikone Hockeyschläger bekam nun unterschiedliche Bedeutungen zugewiesen: Für die einen stand sie für die bevorstehende Klimakatastrophe und für andere für die politische Korruption der Klimawissenschaft. Der Kampf um die Bedeutung wurde persönlich, man kann von einer offenen Feldschlacht reden, bei der keine Gefangenen gemacht und viele Verletzungen zugefügt wurden. Beschädigt wurde auch die Politik, die gehofft hatte, hinter der Fassade objektiver, wissenschaftlicher Wahrheit zu einer Lösung des Klimaproblems zu kommen. Beide, Klimaforschung und Klimapolitik, sind über den Hockeyschläger gestolpert.
Auch wenn bis heute wahrscheinlich das Gros der Klimaforscher diese Debatte für überzogen hält und für sich in Anspruch nimmt, „einfach Wissenschaft zu machen“, so hat sich die Klimaforschung als gesellschaftlich relevante Wissensvermittlerin von diesem Schlag nie wirklich erholt. Umso wichtiger ist es, diesen Prozess noch einmal Revue passieren zu lassen. Hans von Storch war und ist einer der Protagonisten der Hockeyschlägerdebatte, und an seinem Beispiel und aus der subjektiven Perspektive des Beteiligten und des ethnologischen Beobachters werden wir im Folgenden einzelne ihrer Aspekte näher beleuchten.
Der Hockeyschläger
Was hat es mit diesem ominösen Hockeyschläger auf sich? 1998 erstmals von dem US-Physiker Michael Mann und seinen Mitstreitern publiziert, 29 stellt die Hockeyschlägerkurve die nordhemisphärische Temperatur der Luft in Bodennähe (in 2 Meter Höhe, um genau zu sein) im letzten Jahrtausend dar, vom Jahr 1000 bis 1998. Sie bekam ihren Namen, weil sie in ihrer Form einem Hockeyschläger ähnelt, mit einem langen glatten „Griff“, der sich aus den Daten der Jahre 1000 bis 1850 ergibt, und einer steil aufgerichteten kurzen Schlägerkelle, die die Erwärmung seit 1850 darstellt. Die Kurve zeigt einen offensichtlichen Bruch in der Entwicklung mit dem Einsetzen des Industriezeitalters. Der Endpunkt der Kurve im Jahr 1980 liegt weit über den Zahlen des Mittelalters; verglichen mit diesen stellt die gemessene Temperatur des Jahres 1998 einen Jahrtausendrekord dar.
Methodisch ist die Kurve aus zwei Datenquellen abgeleitet worden, aus Thermometerdaten und aus einer Reihe von Proxy-Größen, den indirekten Anzeigern des Klimas. Das waren im Fall der Hockeyschlägerkurve insbesondere Baumringeigenschaften, wie etwa deren Dicke, in denen im Laufe der Jahre die Schwankungen der Temperatur „aufgezeichnet“ wurden. Der Zusammenhang zwischen den Proxys und den Temperaturen wurde empirisch bestimmt, man nahm dazu mit dem Thermometer gemessene und dokumentierte Temperaturen zu Hilfe, wobei man sich auf die Jahre 1880 bis 1980 beschränkte. Andere Studien zeigten später, dass nach 1960 zumindest einige Baumringdaten ein „irreguläres Verhalten“ aufwiesen – wir kommen darauf zurück.
In der Hockeyschlägerkurve wurde ein quantitativer Zusammenhang zwischen Baumringdaten (wie anderen Proxy-Daten) und der nordhemisphärischen Temperatur hergestellt. Wiewohl man mit dem Thermometer bestimmte Temperaturdaten ausreichender Qualität nur seit 1880 hatte, konnte man so die Temperatur vor 1880 doch mithilfe der Baumringdaten zumindest abschätzen – und erhielt so eine durchgehende Temperaturentwicklung seit dem Jahr 1000. Für die Zeit nach 1980 nutzte man die Thermometerdaten selbst und verfügte damit über eine Darstellung für den gesamten
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