Die Klimafalle - die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung
meisten würden sich dabei auf die von Robert Merton aufgestellten und als CUDOS abgekürzten Regeln berufen: Kommunitarismus (Offenlegung und Teilen der Daten und Resultate); Universalismus (Arbeiten müssen unabhängig von Personen oder Herkunft bewertet werden); Uneigennützigkeit und schließlich organisierter Skeptizismus. Der Soziologe Reiner Grundmann kommt zu dem klaren Ergebnis, dass die Climategate-E-Mails den Bruch mit diesen Prinzipien beweisen – ein schwerwiegender Vorwurf. 42
In einer so aufgeladenen und wichtigen Angelegenheit wie der Klimaforschung gerät oft in Vergessenheit, dass es sich bei der Produktion von wissenschaftlichem Wissen um einen sozialen Prozess handelt. Darauf verweisen Diskursanalytiker, wenn sie informelle Absprachen und Mauscheleien im Forschungsprozess untersuchen. Auch Wissenschaftler stehen in der Kaffeeküche, klatschen, tratschen und promoten ihre eigene Forschungsrichtung durch geschicktes Taktieren oder Ausschluss unliebsamer Kollegen. Sie haben auch keinen direkten Zugang zu dem Objekt, das sie untersuchen, sondern sie brauchen Forschungsgelder, Instrumente, Hilfsmittel, Proxys und andere Dinge, um das Klima zum Sprechen zu bringen – das Beispiel der Hockeyschlägerkurve hat das bereits zu Genüge gezeigt. Die Erkenntnisse müssen wiederum in Texten veröffentlicht, also mithilfe von Bildern und Metaphern in Worte gefasst werden, und schließlich müssen sie die Eingangshürden von Zeitschriften wie Nature oder Science überwinden. Hinzu kommt, was jeder kennt, der an einer Universität, einer Forschungseinrichtung oder in einem ähnlichen Betrieb arbeitet – es gibt Seilschaften, Absprachen, Mobbing oder ähnliche unangenehme Dinge. Doch all das ist nicht notwendigerweise ein Verstoß gegen die Regeln von Merton, solange die Grundsätze wissenschaftlicher Praxis eingehalten werden.
Der Soziologe Bruno Latour geht in seiner Analyse noch einen Schritt darüber hinaus. 43 Das Problem ist für ihn der naive Glaube an einen idealisierten Wissenschaftsbegriff, der alle diese sozialen Vorgänge negiert und behauptet, dass die Wissenschaft direkten Zugang zur Wahrheit habe.
In dem Punkt besteht eine verblüffende Einigkeit zwischen allen Beteiligten der Climategate-Affäre, egal auf welcher Seite sie stehen: im tiefen, geradezu religiösen Glauben an eine Wissenschaft, die durch ihre überlegene Methodik die Wahrheit entdecken und damit auch politische Konflikte entscheiden könne. Der Prozess, wie man zu dieser Wahrheit gekommen ist, wird hingegen routinemäßig unsichtbar gemacht.
Dieser Analyse ist insofern zuzustimmen, als die Politisierung der Klimawissenschaft nicht allein den begangenen Fehlern zu verdanken ist, sondern genau einer solchen fatalen Überhöhung der Wissenschaft. Doch eine Grundsatzdebatte will natürlich niemand führen, wenn es darum geht, einen kurzfristigen Vorteil auf dem schwer umkämpften Feld der Klimadebatte erringen zu können. Der Bruch mit Merton und die Überschätzung der Wissenschaft durch alle Beteiligten: Mit diesen Ursünden verspielt die Klimaforschung Vertrauen, eben jenes Kapital, von dem die Naturwissenschaft in ihrer Funktion als gesellschaftlich relevante Beratungseinrichtunglebt. An die Stelle der Beratung, so der böse Verdacht, sind politisch motivierte Absprachen getreten.
Wie schon erwähnt, überraschen diese Einsichten den Kenner wissenschaftlicher Praxis nicht wirklich; allerdings überrascht das Ausmaß, wie systematisch hier mit Ellenbogenmethoden gearbeitet wurde. Solche Kartelle halten jedoch nur selten länger durch, da diese Praxis nicht nachhaltig gestaltet werden kann; irgendwann brechen sie aufgrund innerer Konkurrenz auf. Die öffentliche Wirkung ist dennoch verheerend für das Ansehen der Naturwissenschaft.
Kopenhagen scheitert
Wie in Kapitel 3 am Beispiel der Amsterdamer Konferenz im Vorfeld der UN-Klimakonferenz von Den Haag (2001) beschrieben, fand auch vor Kopenhagen eine große Konferenz mit Wissenschaftlern aus aller Welt statt, um noch einmal ausdrücklich auf die drohende Gefahr des Klimawandels für unseren Planeten hinzuweisen. Der Bericht im Spiegel darüber fasst Atmosphäre und Kernpunkte der Veranstaltung zusammen:
„Milde lächelnd trägt Hans Joachim Schellnhuber aus Potsdam vor 2000 weltweit führenden Klimaforschern seine düsteren Prognosen vor. ‚Wer hat hier schon mal russisches Roulette gespielt’, fragt der Physiker beim Vorbereitungstreffen auf den großen Uno-Klimagipfel in
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