Die Klimafalle - die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung
den Kopenhagener Saal, und natürlich meldet sich niemand. ‚Wir tun das alle mit dem Planeten’, sagt der Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und Klimaberater von Bundeskanzlerin Merkel. Er malte aus, welch katastrophale Folgen schon eine Erderwärmung um zwei Grad haben könne. Dann sei zum Beispiel das völlige Abschmelzen aller Gletscher auf dem Tibet-Plateau möglich – mit Überschwemmungen in einem Wohngebiet von zwei Milliarden Menschen. Und zwei Grad sei noch eine ‚ziemlich vorsichtige Annahme’“. 44
Skeptiker, so fügte er hinzu, spielten von nun an keine Rolle mehr. Als die zahllosen Delegierten sich im Dezember 2009 im Bella-Zentrum in Kopenhagen zur 15. „Conference of the Parties“ trafen, spielten dafür neben den üblichen hochrangigen Politikern, Vertretern von Interessens- und Umweltorganisationen, Journalisten oder indigenen Gruppen die Wissenschaftler eine besonders prominente Rolle. Das 2-Grad-Ziel stand im Zentrum der Verhandlungen, seine Legitimität bezog es naturgemäß aus dem Verweis auf die Wissenschaft, und die deutsche Bundesregierung arbeitete offensichtlich und sichtbar eng mit ihren wissenschaftlichen Beratern zusammen. Die Medien stiegen darauf ein, und Hans Joachim Schellnhuber konnte sogar im Wetterbericht im Anschluss an die „Tagesschau“ die Bevölkerung auf die Gefahr des Klimawandels hinweisen. Doch gleichzeitig lag durch Climategate von Anfang an ein Schatten, oder soll man sagen: ein Fluch über diesen Verhandlungen, die auch ohne solche Skandale vor eine kaum zu lösende Aufgabe gestellt waren. Zur Verhandlung stand die Verlängerung oder Erneuerung des auslaufenden Kyoto-Protokolls als Kernstück der globalen Klimadiplomatie.
Das Kyoto-Protokoll wurde 1997 ratifiziert und trat 2005 in Kraft. Neben der Europäischen Union sind diesem Protokoll, das die Reduzierung von Emissionen um 5,2 % gegenüber dem Stand von 1990 zum Ziel hat, 193 Nationen beigetreten. Für die sogenannten Schwellen- und Entwicklungsländer wurden keine Reduktionsziele vereinbart, und Kanada ist im Jahr 2011 aus dem gemeinsamen Protokoll ausgetreten. In Kopenhagen sollte ein Fahrplan für die ab 2013 beginnende zweite Verpflichtungsperiode des Protokolls ausgearbeitet werden. Die rhetorische Zuspitzung und Betonung der Bedeutung der Kopenhagener Konferenz im Vorfeld durch Wissenschaft und Medien sollten das fast unmöglich Erscheinende möglich machen: die USA mit in das Protokoll einzubinden, die großen Schwellenländer wie Indien, China und Russland zu Emissionsreduzierungen mit zu verpflichten, ein bisher als eher untauglich erwiesenes Regelwerk zu erneuern und das Ganze in der kurzen Zeit einer Konferenz unter Dach und Fach zu bringen.
Die EU-Vertreter mühten sich redlich, auch die nationalen europäischen Vertreter etwa aus Deutschland oder Dänemark, aber am Ende gaben Länder wie die USA, China, Brasilien, Indien und Südafrika das Ergebnis vor: eine Erklärung, dass man sich bemühen werde, das 2-Grad-Ziel einzuhalten, und dass man Mittel für bessere Anpassung bereitstellen würde. Konkret erklärte man die ernste Absicht, eine „Klimafinanzierung“ von Nord nach Süd zu implementieren, mit ansteigenden Summen, ab 2020 sollten es 100 Milliarden Dollar jährlich werden. Unklar ist, ob das nur eine Umwidmung schon fließender Mittel sein wird oder vielleicht doch neu zur Verfügung gestelltes Geld.
(3) Klimaverhandlung in Kopenhagen
Seitdem ist die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre weiter erheblich angestiegen – stärker als in 2009 erwartet. Die folgenden Konferenzen in Cancún, Durban und Doha bauten auf die vage Hoffnung neuer Verpflichtungserklärungen, aber wirksame international koordinierte Maßnahmen sind seitdem nicht verabredet worden. Es gab nur wenige, die versuchten, Kopenhagen im Nachhinein schönzureden, die Verhandlungen mussten als bestenfalls weitergeschoben, ehrlicherweise aber angesichts der gesteckten Ziele als gescheitert betrachtet werden. Vor allem aber hat sich die Mischung aus apokalyptischer Rhetorik und politisch instrumentalisierter Wissenschaft als Basis und Antrieb der Klimapolitik als wenig erfolgreich herausgestellt. Das Verschwindenlassen von wissenschaftlicher Unsicherheit, die Diskreditierung des Skeptizismus als einer wissenschaftlichen Tugend, aber auch das Vernachlässigen der ungeheuren Spannungen und Veränderungen in der Weltpolitik, wo Schwellenländer dabei sind, die Weltordnung – auch im
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