Die Klimafalle - die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung
führte. Und schließlich führt die geringe Präsenz von Sozial- und Kulturwissenschaften zur Revitalisierung von eindimensionalen Folgerungen, mangelnder Reflexivität und deterministischen Fantasien.
Die Nettowirkung ist das Ausbleiben einer umsetzbaren Klimapolitik, weil diese nicht ernsthaft verhandelt werden kann vor dem Hintergrund von antagonistischen Extrempositionen und solange es um den Sieg im Konflikt und nicht um dessen Lösung geht. Die soziale Institution „Wissenschaft“ verkommt zu einem Ersatzschauplatz für einen nur gesellschaftlich lösbaren Konflikt. Wissenschaft als die Konstruktion von Wissen mit der wissenschaftlichen Methode, die Skepsis ebenso wie Wiederholbarkeit, Möglichkeit der Falsifikation und (auch: politische) Uneigennützigkeit einschließt, verliert so ihre eigentliche Nützlichkeit, nämlich: Bedingungen für Handlung zu klären.
Im Folgenden werden wir diskutieren, wie wir im Hinblick auf die Frage des menschengemachten Klimawandels Zukunft denken können. Wir schlagen vor, den Umgang mit dem menschengemachten Klimawandel zu re-politisieren und Konflikte als grundsätzlich aushandelbar zu betrachten. Dazu führen wir das Beispiel eines vergleichbaren antagonistischen Konflikts an, der durch eine erfolgreiche Re-Politisierung entschärft worden ist: der Streit in Nordfriesland um die Einrichtung des Nationalparks „Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer“. Der Fall Nordfriesland eignet sich darüber hinaus auch deshalb, weil hier Anpassung und Vermeidung als die zwei zentralen Möglichkeiten des Umgangs mit dem Klimawandel manifest werden: Anpassung vor allem an den Anstieg des Meeresspiegels und die damit verbundene Verschärfung des Sturmflutrisikos, Vermeidung durch den massenhaften Ausbau der erneuerbaren Energie – vor allem Windkraft – an Land und auf See. Doch alles Handeln beruht zuvorderst darauf, welche Zukunft oder besser: Zukünfte überhaupt denkbar sind.
Zukunft und Szenarien
Sicher ist: Das Klima wandelt sich, verändert sich, auf absehbare Zukunft.
Die Ursache für den Wandel, die ständigen Emissionen von Treibhausgasen vor allem im Zuge der Nutzung fossiler Energiequellen, besteht fortgesetzt, und es sieht derzeit so aus, dass sich diese Tendenz verstärkt. Wenn man der Internationalen Energieagentur (IEA) glauben kann, dann ist diese Entwicklung für die kommenden Jahrzehnte aufgrund der gegenwärtigen Investitionsbeschlüsse in aller Welt (vor allem in neue kohlebefeuerte Anlagen) praktisch festgeschrieben.
Aber selbst wenn dem nicht so wäre und eine Reduktion des Anstieges der Treibhausgasemissionen oder sogar eine Stagnation der atmosphärischen Konzentrationen erreicht werden könnte, so verblieben sie dennoch auf einem hohen Niveau, und das Klimasystem würde noch einige Zeit brauchen, um in ein Gleichgewicht zu kommen. Das gegenwärtige Klima, etwa in Form der globalen Mitteltemperatur, ist nicht jenes, das herrschen würde, wenn die Wirkung der erhöhten Treibhausgaskonzentrationen voll wirksam wird. Wir befinden uns in einer „transienten“ Phase, in einer Umstellungsphase. 88
Wir können also sicher sein, dass der Klimawandel sich weiter entfalten wird; wir können auch sicher sein, dass der technologische Fortschritt vorangehen, eine dauernde Modernisierung stattfinden und die Globalisierung fortschreiten werden, dass Gesellschaften sich neu organisieren und die Aufmerksamkeiten, Sorgen und Perspektiven im öffentlichen Diskurs sich ändern werden – eben so, wie es wohl schon immer war, nur in einem womöglich immer schnelleren Tempo.
Welche Rolle wird der Klimawandel in zwanzig, in fünfzig oder in hundert Jahren in der öffentlichen Debatte einnehmen, in Nordfriesland, in Deutschland oder in China? Welche Rolle wird der Klimawandel – also die stetige Veränderungdieser ursprünglich als konstant gedachten Bedingung des Lebens – im täglichen Leben, im Planen und Vorsorgen, im Konsum, in der Wissenschaft, im Deuten und Verstehen, in der Kultur, in der Kunst und in den Religionen spielen?
Das zukünftige Klima können wir nur im Groben vorhersagen; die Stärke des über viele Jahrzehnte hinziehenden Trends hängt von zukünftigen Emissionen ab, und die Entwicklung in den kommenden zehn oder zwanzig Jahren von den unregelmäßigen natürlichen Schwankungen des Klimasystems. 89 Noch viel weniger können wir die Änderungen der anderen Faktoren – Denkstile, Technologien, gesellschaftliche Präferenzen und Konflikte –
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