Die Klimafalle - die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung
zuletzt auch um die Kultur des Klimawandels und damit einer Emanzipation von Sozial- und Kulturwissenschaften in der Klimadebatte.
Auch diese Tagung fand ihren Widerhall in der Blogosphäre und führte zu einer Sonderausgabe eines peer-reviewed Journals ( Nature and Culture ), 63 was insofern wichtig ist, als dies eine formale Verankerung dieses Ansatzes in der Wissenschaftssphäre bedeutet. Der experimentelle Charakter eines solchen Ansatzes und seine Randständigkeit innerhalb des Mainstreams der Klimaforschung müssen aber betont werden.
Die Nützlichkeit des Konzepts der postnormalen Wissenschaft besteht darin, den Prozess der Selbst- und Neufindung der Klimaforschung zu reflektieren und dazu beizutragen, die Klimaforschung im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Rolle, ihre Grenzen und Möglichkeiten sowie ihre Praxis im Zeitalter einer globalen Kommunikation jenseits aller Fachgrenzen neu zu verorten.
Am Lagerfeuer der Klimazwiebel
Die Randbedingungen einer postnormalen Wissenschaft – zur Erinnerung: das Wissen ist unsicher, Werte sind im Spiel, es geht um viel und Entscheidungen sind dringend – spiegeln sich wider in den erfolgreichsten, das heißt am häufigsten angeklickten Beiträgen auf der Klimazwiebel.
Dies gilt auch für einen Gastbeitrag von Richard Tol, der den Weltklimarat genau dann zu einer Stellungnahme provozieren wollte, als die Legitimationskrise am größten war. Wie erwähnt bezichtigte er einen Vorsitzenden der Arbeitsgruppe 6 namentlich einer wissentlichen Falschaussage; Hans von Storch teilte dies dem IPCC-Büro mit in der Annahme, dass man eine Korrektur verlangen würde – allein, außer der ausweichenden Antwort der Büroleiterin des IPCC-Sekretariats fand sich dort offensichtlich niemand, derauf diesen Anschuldigung reagieren konnte oder mochte. Ein anderer Gastbeitrag thematisierte die Einträge auf Wikipedia zum Klimawandel, die einseitig Richtung Alarmismus ausgerichtet und, entgegen der Offenheitspolitik von Wikipedia, für Änderungen geschlossen seien. Als auch die Klimaskeptiker des Heartland-Instituts ihr eigenes Climategate hatten und E-Mails aus dem Herzen der Klimawandelleugnermaschine an die Öffentlichkeit traten, nahm die Geschichte eine unvorhergesehen Wendung: Der Klimawarner und anerkannte Klimaforscher Peter Gleick hatte unter falschem Namen dem Heartland-Institut eine Falle gestellt und damit ein Beispiel geliefert, zu welchen Verzweiflungstaten in dieser aufgeheizten Atmosphäre selbst honorige Wissenschaftler fähig sind. Dieser Fall wurde auf der Klimazwiebel unter anderem aus der Perspektive der Science and Technology Studies analysiert und interpretiert. Die Klimaforschung wird dadurch immer wieder auch selbst zum Gegenstand der Analyse und die Klimadebatte aus ihrem engen naturwissenschaftlichen Rahmen befreit.
In manchen Fällen ist die Klimazwiebel enthüllend tätig; andere vielbeachtete Beiträge sind wissenschaftliche Erläuterungen wie die von Eduardo Zorita zu den Berechnungen des Hockeyschlägers, welche zu langen transatlantischen Debatten führen. Wie viele andere Blogs orientiert sich die Klimazwiebel zumeist an den klassischen Printmedien (bzw. deren Online-Ausgaben), welche nach wie vor eine wichtige Rolle in der Vorselektion von Ereignissen haben. Die Kommentierung und Kritik von Pressemeldungen und Kommentaren ist so etwas wie das tägliche Brot von Blogs. Was hat es mit der Häufung von Wetterextremen auf sich, was für Zeichen sind die Dürre in den USA, die Überschwemmung in Pakistan, die Waldbrände in Russland? Was ist mit der eisfreien Arktis, mit dem Schmelzen des Permafrosts und dem Ansteigen des Meeresspiegels? Wie ist der neueste Zwischenbericht des IPCC zu Extremen zu bewerten, was sagen Roger Pielke jr., Judith Curry oder Stefan Rahmstorf dazu? Es ist eine endloseKette von Ereignissen, welche alle zusammen die Zeitdiagnose ausmachen, dass ein Klimawandel stattfindet – doch welcher genau, und was sind die Ursachen? Mit jeder Debatte steigt die Vertrautheit mit den wissenschaftlichen Fakten, den Institutionen, dem beteiligten Personal, und das Archiv wird größer und größer. Das Interesse unterliegt Konjunkturen, doch die Blogosphäre ist eine lebhafte Arena, in der diese Ereignisse immer wieder einer Überprüfung unterzogen werden, sei es auf der Ebene der Wissenschaft oder der eigenen Orientierung in der Welt. Es kommt, wie gesagt, selten vor, dass Blogger ihre grundsätzliche Haltung verändern, doch das
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