Die Klimafalle - die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung
sarkastischen oder hoffnungsvollen Kommentaren. Die Klimazwiebel berichtete ebenfalls ausführlich und leitete durch lange Debatten, wobei klar wurde, wie sensibel eventuelle Verschiebungen auf der Waage zwischen Warnern und Skeptikern notiert werden, und letztlich auch, wie aufmerksam viele diese wissenschaftsphilosophische Intervention von Jerry Ravetz zur Kenntnis nahmen. Hier ein Auszug aus dem ethnologischen Beitrag von Werner Krauß auf der Klimazwiebel (übersetzt aus dem Englischen):
„Auf einem Spaziergang durch Lissabon sah ich ein Schild über einer Tür, auf dem in Portugiesisch stand: ‚Niemandsland – anarchistisches Territorium’. Dies erinnerte mich an die Atmosphäre auf dem Workshop, auf dem viele verschiedene Stämme zusammenkamen, die nur durch ihr Interesse am Klimawandel geeint sind. Zumindest auf diesem Workshop gehörte das Klima niemandem, weder den Alarmisten noch den Skeptikern. Für mich als Ethnologen war es eine große Gelegenheit, einige der Stämme und Subkulturen innerhalb und außerhalb der Klimawissenschaften kennenzulernen. (…) Wer darf im Namen der Klimawissenschaft sprechen und wer nicht? Wer gehört dazu, und wer ist ausgeschlossen? Dies waren unterschwellige Fragen während des Workshops, und diese Fragen sind eng mit der Klimaforschung und Klimapolitik verbunden. (…) Die Debatten haben Wunden hinterlassen, und es ist fraglich, ob hier Versöhnung möglich ist. Doch in den besten Momenten des Workshops öffneten sich die Teilnehmer der Klimadebatte in Form einer kollektiven Anstrengung (…); Klima wurde zu einer Angelegenheit von Belang und Skeptizismus zu einem Werkzeug für gutes Denken und für Bescheidenheit. (…) Wir sitzen alle im gleichen Boot, Wissenschaftler und Laien, und wir nehmen alle an einem kollektiven Experiment teil.“
(4) Hauseingang in Lissabon: „Niemandsland – anarchistisches Territorium“
Nachwirkungen und Folgen
Wenige Monate später fand wieder ein Workshop in Lissabon unter Teilnahme von Jerry Ravetz und Silvio Funtowicz statt, der die Rolle der Medien im digitalen Zeitalter zum Gegenstand hatte. In einem Roundtable-Gespräch unter Leitung von Werner Krauß wurde hier auch der Versöhnungsworkshop unter dem Aspekt seiner (gleichzeitigen) digitalen Repräsentation in der Blogosphäre diskutiert. Thema waren hierbei das Bloggen als eine neue wissenschaftliche Praxisund die Gefahren, die damit verbunden sind – jeder Blogger kennt das Problem des Rufmords, der Blamage, des Missverständnisses, der falsch verstandenen Ironie und anderer Dinge, die den Blutdruck in die Höhe treiben. Es gibt keine festen Regeln für den Diskurs im Internet, doch gleichzeitig gibt es auch keine Möglichkeit, die Zeit zurückzudrehen. Dies wurde auch deutlich in einem Vortrag von einem Repräsentanten des Journals Nature , wo diese Entwicklung genau beobachtet wird. Man konnte den Eindruck gewinnen, als ob die Tage, da wissenschaftliche Artikel von Verlagen in ein Konsumprodukt verwandelt und hinter einer Paywall versteckt werden, gezählt sind. Dasselbe gilt für die Peer Review in ihrer herkömmlichen Form, wobei sich bisher allerdings noch keine nachhaltigen anderen Formen der Qualitätskontrolle entwickelt haben. Es versteht sich so gesehen fast von selbst, dass Nature auch längst über einen eigenen Blog verfügt.
Noch im selben Jahr veranstalteten wir, die Autoren dieses Buchs, gemeinsam mit dem Medienwissenschaftler Mike E. Schäfer einen Folgeworkshop in Hamburg mit dem Titel: „Post-normal science: the case of climate research“ (Klimaforschung als postnormale Wissenschaft), zu dem wir neben Jerry Ravetz vor allem Sozial- und Kulturwissenschaftler einluden, um die Lehren aus der „post-normal science“ an konkreten Beispielen aus der Klimaforschung zu überprüfen und auf sie anzuwenden. Hier ging es nicht mehr um den Gegensatz zwischen Alarmisten und Skeptikern, sondern um das Verhältnis von Klimaforschung und Politik, konkret vor allem am Beispiel des IPCC nach Climategate, insbesondere hinsichtlich neuer Formen der Qualitätskontrolle und des Managements von Unsicherheiten und Fehlern. Zudem ging es um eine erweiterte Repräsentation auch unter Einbeziehung skeptischer Stimmen; um die Möglichkeiten der Blogosphäre und eines erweiterten Peer-Review-Systems; um die spezifischen Einsatzmöglichkeiten von Klimaforschung jenseits der Verkündung von Absolutismen – zum Beispiel als einer regionalen Klima-Service-Einrichtung – und nicht
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