Die Klinge des Löwen 01
Erdmann hielt sich
abseits. Plötzlich schwang er sich zu Dietrichs Verblüffung
in den Sattel von Rolands Roß. Das Gesicht des Ritters
verfinsterte sich.
„ Was tust du da, Erdmann?“
„ Roland hat jüngere
Beine als ich“, entgegnete der Angesprochene mit verlegenem
Trotz. „Er kann zu Fuß gehen.“
„ Runter von dem Gaul“,
erwiderte Dietrich in scharfem Ton. „Der Knappe hat bewiesen,
daß er reiten und kämpfen kann. Du dagegen brachtest uns
während des Flußüberganges zweimal in größte
Gefahr. Einmal schwamm dir der Gaul davon, und beim zweiten Mal
hättest du um ein Haar die Kontrolle über das Saumroß
verloren!“
Erdmann starrte den
Ritter feindselig an, aber er gehorchte wortlos. Dietrich musterte
ihn finster und wandte sich dann schweigend ab. Das letzte, was er
jetzt brauchen konnte, war Uneinigkeit oder gar Streit innerhalb
seiner kleinen Schar.
Ein Blick zum
jenseitigen Flußufer zeigte ihm, daß der feindliche
Reitertrupp sich offenbar vorläufig nicht aus der Deckung
hervorwagte. Er wandte sich wieder an Erdmann. „Du machst dich
jetzt zu Fuß auf und erkundest das Gelände vor uns. Wir
werden nur langsam folgen können, denn mein Pferd muß sich
erholen. Also geh und melde dich, wenn irgendeine Gefahr droht!“
Mit unbewegtem
Gesicht machte sich der Angesprochene auf den Weg. Zu Giselbert
gewandt, sagte Dietrich: „Bleib mit Roland eine Weile hier.
Haltet mir das Kriegsvolk vom Leibe, bis ich mit den Frauen und dem
Kind auf sicherem Grund bin.“
Er sah kurz nach dem
Stand der Sonne und setzte hinzu: „Es ist nicht mehr weit bis
zum Abend. Folgt uns, sobald die Sonne die westlichen Berge berührt!“
In der Zwischenzeit
hatte Gräfin Ida dem kleinen Bernhard die durchnäßten
Kleidungsstücke abgestreift und sie durch trockene aus einem
wasserdichten Packen des Saumrosses ersetzt. Sie selbst und Bertha
hatten ebenfalls Strümpfe und Schuhe wieder angezogen, so daß
sie wenigstens warme Füße bekamen. Denn ihre bei der
abenteuerlichen Flußüberquerung teilweise feucht
gewordenen Kleider konnten sie nicht wechseln. Mit dem Jungen vor
sich im Sattel wartete Ida auf das Zeichen zum Aufbruch.
Nachdem Giselbert
sich auf seinen Posten begeben hatte, um Roland Gesellschaft zu
leisten, wandte Dietrich sich an die Gräfin. „Es tut mir
leid, aber jetzt ist es sicher, daß wir die Burg Husen heute
nicht mehr erreichen. Bald wird es dunkel, und dann ist es zwecklos,
weiterzuziehen.“
„ Bedeutet dies, daß
wir im Freien übernachten müssen?“
„ Es wird uns nichts anderes
übrig bleiben.“
„ Und die Verfolger? Werden
sie uns auf diese Weise nicht überraschen?“
„ Nein, das ist nicht zu
befürchten. Sie würden bei dem schwierigen Gelände,
das vor uns liegt, genau wie wir in die Irre gehen.“
„ Nun, dann wollen wir uns
in das Unvermeidliche fügen“, sagte Ida
sichtlich bedrückt. „Aber ich hoffe doch, daß
wir, sobald unser Lager aufgeschlagen ist, wenigstens ein Feuer
machen können, um unsere feuchten Kleider zu trocknen?“
„ Ich fürchte, das
können wir nicht riskieren. Wir würden damit unseren
Standort verraten, so daß uns der feindliche Trupp tatsächlich
auch in der Nacht fände.“
„ Was für eine
unangenehme Reise!“ seufzte Ida. „Wie froh werde ich
sein, wenn wir das hinter uns haben!“
„ Das
wird bald der Fall
sein, Gräfin“, meinte Dietrich, wobei er einen
aufmunternden Ton anschlug. Es drängte ihn förmlich, ihre
gewiß nicht unbegründeten Sorgen zu zerstreuen. Aber
befangen, wie er sich ihr gegenüber fühlte, fiel ihm in
diesem Moment nichts Gescheites ein. So begnügte er sich damit,
ihr zur Bekräftigung seiner Worte freundlich zuzunicken. Ein
dankbares Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, was wiederum ihn
mit einem seltsamen Glücksgefühl erfüllte.
Die Schwarzwaldhöhen
im Südosten waren in Gold getaucht, hervorgerufen von der hinter
den westlichen Bergen versinkenden Sonne. Langsam erlosch diese
Erscheinung. Blauer Dunst zog auf und legte sich sacht auf die
Landschaft. Die Konturen begannen zu verschwimmen. Die Abenddämmerung
wob geheimnisvolle Schleier und hüllte alles in einen weichen
Schimmer, der langsam erstarb.
„ Wir wollen aufbrechen“,
sagte Dietrich und durchbrach damit den Bann der blauen Stunde. „Wenn
Ihr es wünscht, nehme ich Euren Sohn wieder zu mir in den
Sattel.“
Ida lächelte
ihm zu. „Ich danke Euch, Herr Ritter. Aber es macht mir keine
Mühe, ihn bei mir auf dem Pferd zu haben. Ich
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